"Euro-Ausstieg Athens wäre ein endloses Chaos"

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Ein Grexit kann die Demokratie in Athen gefährden, warnt Ökonom David Hauner.

Die Presse: Deutsche Banken sehen Österreichs Finanzplatz vor dem Ruin. Sie jammern, weil sie durch den Hypo-Schuldenschnitt viel Geld verlieren. Machen Investoren wirklich einen Bogen um das Land?

David Hauner: Die Wahrheit ist: Investoren haben ein kurzes Gedächtnis. Ich beschäftige mich in erster Linie mit Schwellenländern. Für sie ist es ganz typisch, dass sie nicht immer bezahlen. Das ist nicht gut. Aber sobald neue Investitionsmöglichkeiten da sind, ist das vergessen. Der Unterschied zwischen Österreich und etwa der Ukraine ist nur, dass die Ukraine zehn Prozent Rendite verspricht. Wenn ich Österreich Geld leihe, muss ich dafür zahlen. Aber fast alle westeuropäischen Länder mussten ihre Schuldenlast reduzieren, sonst bekommt man ja nie wieder ein Wachstum.

In Österreich wurde die Entschuldung bisher verschoben.

Es ist nicht ganz so schlimm, weil die Nettoverschuldung nicht so hoch ist wie die Bruttoverschuldung. Und die Zinsen sind so niedrig, dass Schulden heute so billig sind wie selten zuvor. Eigentlich sollte man ja mehr ausgeben. Nicht für Konsum, aber für Infrastrukturinvestitionen. Wenn ich als Staat zehn Jahre lang Negativzinsen bekomme, bin ich eigentlich verpflichtet, Geld zu nehmen und der nächsten Generation eine bessere Infrastruktur zu hinterlassen.

Bezahlt aus der Druckerpresse der Notenbanken. Zuletzt brachte uns das die Konsumblase und die Finanzkrise. Und diesmal?

Die Aktien in den USA und Europa sind nahe an den historischen Höchstständen. In den Schwellenländern gibt es noch keine großen Blasen. Aber die EZB wird auch nach 2016 die Geldschleusen offen halten, die US-Notenbank wird die Zinsen nur marginal anheben. Die Blasen kommen also wieder.

Wenig Blasengefahr gibt es derzeit wohl in Griechenland. Angesichts dessen, wie eng es dort werden wird, war die Panik auf den Märkten bisher aber gering.

Investoren versuchen das Thema Griechenland derzeit zu ignorieren. Griechenland hat als erster Staat den Weg vom Schwellenland zu einem entwickelten Land und wieder zurück hinter sich gebracht. Heute investieren Leute, die Länder wie Russland oder die Türkei gewöhnt sind. Das passt irgendwie. Also genau die Spezialisten, die ausrechnen können, wie viel Euro noch in der Kassa sind.

Wissen Sie das? Aus Athen hört man da ständig andere Zahlen.

Wir denken, dass das Geld noch bis Ende Juni reichen wird.

Einen Monat länger, als Athen sagt.

Natürlich werden politisch andere Daten genannt, um Druck auszuüben. Einerseits in den Verhandlungen um Kredite mit EU und IWF, andererseits auch im Land, um doch ein Reformpaket durch das Parlament zu bringen.

In den ersten hundert Tagen ist die Regierung Tsipras keinen Millimeter in den Verhandlungen mit den Geldgebern vorangekommen. Bleibt nur der Ausstieg des Landes aus der Eurozone als Lösung?

Nein, Griechenland will im Euro bleiben und ist dort auch besser aufgehoben. Alle Abwertungen in den Jahren zuvor haben keine dauerhafte Belebung der Wirtschaft gebracht, weil eine konkurrenzfähige Exportwirtschaft fehlt. Der Grexit wäre ein endloses Chaos und rechtlich nicht einfach möglich. Der letzte Euro, der noch im Land ist, würde abgezogen. Man müsste alle Grenzen absperren, damit die Menschen das Geld nicht in Koffern hinausschaffen. Selbst das demokratische System im Land könnte daran zerbrechen.

Wäre die Eurozone ohne Griechenland besser dran?

Der Präzedenzfall wäre geschaffen und der Finanzmarkt müsste bei jeder künftigen Krise fragen: Wird auch dieses Land austreten? Es wäre ein destabilisierender Faktor.

Wie wahrscheinlich ist es, dass sich Athen rechtzeitig mit den Geldgebern einigen kann?

Es wird sehr sehr haarig, weil das Geld im Juni ausgeht. Griechenland wäre dann insolvent. Ebenso die griechischen Banken, weil sie voll sind mit Staatsanleihen. Die EZB müsste den Geldhahn abdrehen, dann bricht Panik aus und die letzten Leute holen das Geld von der Bank. Fünf nach zwölf müsste im Parlament ein neues Reformprogramm durchgeboxt werden, was ein Drittel der Regierungsfraktion derzeit ausschließt.

Pokert Griechenland in den Verhandlungen zu hoch?

Es gibt Raum für Kompromisse – auch mit Alexis Tsipras. Aber die Griechen haben sich verkalkuliert. Weder Westeuropa noch die anderen Peripherieländer sind auf ihrer Seite. Jetzt läuft uns die Zeit davon. Selbst wenn sich die Regierung auf ein Programm einigen kann, fehlt die Mehrheit im Parlament. Ein Referendum geht sich wohl nicht aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland wie Zypern schon über den Abgrund geht und erst dann zurückgeholt wird, ist groß.

Es geht derzeit nur um die kurzfristige Finanzierung des Landes. Viel mehr als Symptombekämpfung wäre eine Lösung nicht.

Vor den Wahlen lag Griechenland ganz gut. Es hatte einen Primärüberschuss und niedrigere Finanzierungskosten als die USA. Das Schlimmste war überstanden. Jetzt ist das Land einen großen Schritt zurückgegangen. Es gibt Rezession und ein Primärdefizit, weil keine Steuern eingehoben werden. Aber Athen war auf dem richtigen Pfad.

Ein Pfad, den die Bevölkerung aber nicht mitgehen wollte.

Für weite Teile der Bevölkerung war die Situation sozial unerträglich. Aber Griechenland hatte zehn Jahre lang ein Einkommensniveau, das in keinem Verhältnis zur Wirtschaftsleistung stand. Die Griechen erlebten dank des Euro einen Boom auf Pump. Das Problem ist natürlich, dass diejenigen, die davon profitiert haben, nicht die gleichen sind, die jetzt die Zeche dafür bezahlen. Die Einsparungen treffen vor allem sozial Schwache, die Steuereinnahmen der Besserverdiener sind noch niedrig. Die großen Privateinlagen und Unternehmenseinlagen sind schon außer Landes geschafft. Was bleibt, ist die Masse der kleineren Spareinlagen. Aber der Grexit und die Abwertung der Währung wäre für sozial Schwache auch eine Katastrophe. Es gibt keine Alternative.

ZUR PERSON

David Hauner (38) ist Chefökonom für Schwellenländer bei der Bank of America Merrill Lynch in London. Der gebürtige Österreicher arbeitete zuvor beim Internationalen Währungsfonds in Washington.


Österreichs Wirtschaftsstudenten
lehrt er in Wien und Klagenfurt, wie man richtig in Schwellenländer investiert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.05.2015)

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