Aktienrallye ohne Bezug zur Realität

Q-Ratio ist eine Erfindung von James Tobin
Q-Ratio ist eine Erfindung von James Tobin(c) EPA (Upi)
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In der Geschichte waren Aktien gegenüber den Fundamentaldaten nur zwei Mal so überbewertet wie heute: Vor dem Platzen der Dotcom-Bubble und im Jahr 1929.

Wien/New York. Der Bullenmarkt an der Wall Street nach der Nahtoderfahrung des Finanzsystems 2008 ist inzwischen der zweitlängste binnen 60 Jahren. Aber die Anzeichen, dass die Zentralbanken durch ihre Politik des billigen Geldes hier eine riesige Bubble aufgeblasen haben, mehren sich jeden Tag. Nimmt man die sogenannte Q-Ratio zur Hand, so zeigt sich: Der Aktienmarkt hat den Boden der Realität längst verlassen. Nur zum Höhepunkt der Dotcom-Bubble sowie vor der Great Depression der 1930er-Jahre waren die Aktien noch stärker überbewertet.

Die Q-Ratio ist eine Erfindung des 2002 verstorbenen Ökonomie-Nobelpreisträgers James Tobin, auf den auch die Idee einer Finanztransaktionssteuer zurückgeht. Während dieses Thema aber inzwischen hauptsächlich von Globalisierungegnern und klammen Regierungen betrieben wird – und von der ursprünglichen Idee einer Steuer zur Eindämmung der Währungsspekulation nicht viel übrig geblieben ist, hat die Q-Ratio bis heute Aussagekraft.

Das Prinzip ist simpel: Tobin rechnet die Aktienbewertung der Unternehmen gegen ihre tatsächliche produktive Kraft auf. Heute sind Aktien dieser Rechnung zufolge schon zehn Prozent überbewertet. Heißt: Wenn man alle Aktien zum aktuellen Marktwert verkaufen – und dann ihre Fabriken, Gebäude, Maschinen und Produkte aufkaufen würde, hätte man immer noch Geld übrig. Zehn Prozent der Gesamtsumme eben.

Ist QE schuld?

Die Aussagekraft der Q-Ratio ist aber umstritten. Denn sie basiert auf der Annahme einer echten Industriegesellschaft – mit Fabriken und Maschinen. (Digitale) Dienstleistungen könne man aber nicht mit Fabriken vergleichen, so die Kritiker. Dass die Q-Ratio sich seit 2009 auf 1,10 verdoppelt hat, könnte aber trotzdem auf eine wachsende Bubble hinweisen. Viele Unternehmen stecken ihr Geld inzwischen selbst in den Aktienmarkt – etwa, indem sie eigene Aktien zurückkaufen. Eine Rolle spielt auch die extreme Geldpolitik der Zentralbanken seit der Krise. Vor allem das umstrittene Quantitative Easing, das inzwischen von allen großen Zentralbanken eingesetzt wird oder eingesetzt wurde. Mehrere Billionen Euro wurden so in den Markt gepumpt.

„In meinen Augen ist Quantitative Easing eine sehr gefährliche Politik – weil es die Asset-Preise so weit nach oben gedrückt hat. Und sehr hohe Asset-Preise sind gefährlich, das wissen wir aus der Geschichte“, so Andrew Smithers. Der 77-Jährige war früher Chef des Investment-Arms von Warburg & Co. Die Bank wurde inzwischen von der Schweizer UBS geschluckt.

Zwei Billionen seit 2009

„Wir sehen starke Hinweise in verlässlichen Daten, dass der Aktienmarkt inzwischen um bis zu 80Prozent überbewertet ist“, so Smithers zu Bloomberg. Zusätzlich zu Quantitative Easing hätten die seit Jahren auf dem Nullpunkt verharrenden Zinsen die Anleger in risikoreiche Bereiche getrieben – und die entsprechenden Märkte nach oben gedrückt. Inzwischen sei der Papierwert solcher Assets weit über dem tatsächlichen, so Smithers.

Die Firmen im S&P 500 haben im vergangenen Jahr 95 Prozent ihrer Gewinne für Aktienrückkäufe und Dividenden ausgegeben. Allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres wurden rund 400 Mrd. Dollar an Rückkäufen angekündigt. Seit 2009 sind so bereits rund zwei Billionen Dollar in die Märkte geflossen. Mit nachhaltigen Investitionen halten sich die Unternehmen derweil zurück. Hier gibt es zwar auch Wachstum, das mit elf Prozent aber hinter den Aktienrückkäufen (plus 45 Prozent) zurückliegt. Der S&P500 stieg zuletzt wieder auf neue Rekordwerte. (jil/Bloomberg)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.05.2015)

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