Meldung mit Seltenheitswert: In Japan steigen die Reallöhne

Passers-by walk under illuminated signboards at Kabukicho shopping and amusement district in Tokyo
Passers-by walk under illuminated signboards at Kabukicho shopping and amusement district in TokyoREUTERS
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Die Gehaltschecks der Japaner sind wieder etwas üppiger geworden. Für die Wirtschaft heißt das aber noch nicht allzu viel.

Tokio. Bisher war es in Japan in den vergangenen 25 Jahren meist so: Entweder die drittgrößte Volkswirtschaft der Welt steckte gerade in einer Deflation, also einem fallenden Preisniveau, wodurch der Reallohn bei gleich bleibenden Gehältern eigentlich steigen würde. Allerdings ging der Preisverfall häufig mit Einsparungen bei Personalkosten einher. Oder aber die Preise stiegen leicht, und dann wurden die Löhne meist nicht entsprechend angehoben. Denn viele Betriebe erwarteten nicht, dass ein nachhaltiger Aufschwung mit starker Nachfrage folgen würde. Das Resultat: Es mangelt an Vertrauen, die Reallöhne sind seit Jahren gefallen.

Anfang Juni zeigten die Statistiken des Arbeitsministeriums etwas anderes. Der durchschnittliche Nominallohn, inklusive Überstunden und Boni, stieg im April um 0,9 Prozent auf 274.577 Yen (nach aktuellem Wechselkurs rund 2001 Euro). Dies markierte die stärkste Zunahme seit Dezember 2014 und die zweite in Folge. Unter Berücksichtigung der Inflationsrate beträgt der Lohnzuwachs allerdings nur 0,1 Prozent. Da es vorläufige Berechnungen sind, könnte dieser Reallohnanstieg auch noch revidiert werden. Aber immerhin ist es der erste Zuwachs seit zwei Jahren. Im Vergleich mit 2014, als die Reallöhne im Schnitt um drei Prozent fielen, ist die Richtung jedenfalls positiv.

Viele Teilzeit-Beschäftigte

Doch nicht jeder unselbstständig Beschäftigte profitiert. Seit dem Platzen einer Spekulationsblase 1990, das die japanische Volkswirtschaft bis heute belastet, hat sich der Arbeitsmarkt in zwei Klassen aufgeteilt. Auf der einen Seite sind die Vollzeitbeschäftigten mit starkem Kündigungsschutz, sozialer Absicherung und dem Versprechen auf Lohnsteigerungen. Demgegenüber wächst die Zahl von befristet oder Teilzeit-Angestellten sowie Selbstständigen, die über diese Absicherungen meist nicht verfügen. Sie machen mittlerweile rund ein Drittel der Arbeitsbevölkerung aus und verdienen deutlich weniger.

Für die japanische Regierung aber sind es erleichternde Nachrichten. Vor einem Jahr hatte sie die Mehrwertsteuer von fünf auf acht Prozent angehoben, um den Anstieg der hohen Staatsschulden von weit über 200 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung einzudämmen. Daraufhin fiel die Binnennachfrage zurück, die Volkswirtschaft rutschte mehrmals in eine Rezession. Nun allerdings scheinen die negativen Effekte der Mehrwertsteuererhöhung zunächst überwunden. Zwar ist eine weitere Anhebung der Steuer auf zehn Prozent schon beschlossen, terminlich aber noch nicht festgelegt.

Premierminister Shinzo Abe kann damit erst einmal durchatmen. Seine als Abenomics bekannte Wirtschaftspolitik aus hohen Staatsausgaben, lockerer Geldpolitik und der Ankündigung wachstumsfördernder Strukturreformen kann er nach einer Häufung bescheidener Nachrichten wieder als Erfolg verkaufen. Und er bekommt Zeit, das Herzstück seiner Politik, wachstumsorientierte Reformen, anzugehen. Abe will etwa den bisher geringen Anteil der Frauen auf dem Arbeitsmarkt erhöhen, die Zuwanderung von Fachkräften erleichtern und die Japaner zu Unternehmensgründungen motivieren.

In Abwesenheit solcher Reformen sind die anfänglichen Wachstumserfolge durch hohe Staatsausgaben und groß angelegte Staatsanleihekäufe der Zentralbank allerdings zuletzt verpufft. Auch die Zunahme der Reallöhne könnte dann von kurzer Dauer sein. In der Hoffnung auf Wirtschaftswachstum hat Premier Abe nämlich der Zentralbank ein Inflationsziel von zwei Prozent aufgedrückt. Wenn dies erreicht ist, werden die Löhne um entsprechend mehr steigen müssen, um preisbereinigt nicht wieder zu fallen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.06.2015)

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