Weckruf für New Yorks Partyszene

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After-Work-Clubbings sind gang und gäbe. Jetzt greift ein internationaler Trend um sich, der nicht den Feierabend, sondern die frühen Morgenstunden vor der Arbeit zur Partyzeit erklärt.

Es ist sieben Uhr Früh im Herzen des Studentenviertels rund um die NYU (New York University). Studenten trifft man um diese Uhrzeit noch keine auf den verschlafenen Straßen an. Dafür strömt an diesem Mittwochmorgen unter den ungläubigen Blicken der Passanten ein buntes, frisch geduschtes Partyvolk in die Judson Memorial Church am Washington Square Park.

Eine lachende junge Frau im Engelskostüm schiebt sich an Gästen in Goldleggins, Schlaghosen und neonfarbenen Sportoutfits vorbei ins Innere der Kirche. Dort dröhnen die Bässe, dort wippen die Stuckdecken, Marmorsäulen und Orgelpfeifen im Takt der elektronischen Musik. Am Eingang zum Kirchenschiff werden Hawaiiketten und Umarmungen an die Neuankömmlinge verteilt. Auf der darüber gelegenen Orgelempore macht eine kleine Gruppe Sportbegeisterter bereits fleißig Yoga-Übungen.

Erst vor Kurzem gab es einen Geburtstag zu feiern. Und zwar den ersten der monatlich stattfindenden, frühmorgendlichen Eventserie Morning Gloryville. Im Mai 2014 starteten die Londoner Eventveranstalterin Samantha Moyo und ihr Geschäftspartner, Heiltherapeut Nico Thoemmes, ihre Gute-Laune-Raves in den USA. Ein Jahr zuvor hatten sie in London damit begonnen – als Ausgleich zu den drogengeladenen, alkoholischen Partynächten, wie sie sie aus ihrer Jugend kannten.


Gesundheitsbewusstes Clubbing. Zwei Jahre nach der Gründung in London ist die Partylinie mittels Franchisesystem bereits in 22 Städten weltweit vertreten. Und die Nachfrage reißt nicht ab. Ständig klopften neue Interessenten an, berichtet Moyo. Seit mehr als einem Jahr zieht die 29-Jährige nun als alleinige Geschäftsführerin und selbst ernannte „Gloryville Goddess“ weltweit die Fäden ihres frühmorgendlichen Ausgeh-Imperiums.

„Wir wollten Flower-Power zurück in den urbanen Raum bringen und die Clubszene auf den Kopf stellen. Wir haben damit einen komplett neuen Markt erschlossen“, erzählt die Gründerin von ihrem internationalen Erfolg. Das Veranstaltungskonzept, das hinter dem Projekt steht, ist simpel. Gesundheits- und körperbewusstes Clubbing steht im Mittelpunkt. Alkohol und sonstige Drogen werden durch Yoga, Massageeinheiten sowie Unmengen an Kaffee und Wasser ersetzt. Die dunkle Nachtclubatmosphäre wird von lichtdurchfluteten, ungewöhnlichen Veranstaltungsorten abgelöst.

Es geht um positive Energie, reine Freude und ungehemmte Lust am gemeinsamen Feiern und Tanzen. Anders ausgedrückt um den Grund dessen, wofür Menschen gewöhnlich abends ausgehen. Nur, dass es laut den Morning-Gloryville-Veranstaltern diese unprätentiöse, reine Freude am gemeinsamen Feiern in der Nachtclubszene längst nicht mehr gebe.


Buhlen um das Partyvolk. Annie Fabricant, die als „Glory Agent“ den New Yorker Ableger startete, war nach ihrem ersten eigenen Besuch eines Londoner Morgenraves im Winter 2013 überwältigt. „Unglaubliche Energie, keine Anmaßungen, Hemmungen oder Egos“, fasst sie die Stimmung zusammen. Sie habe sofort gewusst, dass dieses Event bei den aufgeschlossenen, zunehmend gesundheitsbewussten New Yorkern einschlagen würde.

Sie lag mit dieser Annahme richtig. Rund 400 New Yorker folgen Annies monatlichem Weckruf zum ausgelassenen morgendlichen Rave. Darunter befinden sich Studenten genauso wie Eltern mit Kleinkindern, Pensionisten oder auch hart arbeitende Geschäftsleute, die sich einen natürlichen Energiekick vor dem Bürobetrieb holen wollen.

Eine von ihnen ist die 40-jährige Rose Satas. Gerade zuvor hat sie ihre Kinder zur Schule gebracht. Nun wolle sie sich noch in Stimmung für den bevorstehenden Arbeitstag bringen. Die mehrfache Mutter und Angestellte eines großen internationalen Konzerns ist jedoch nicht richtig von dem Morning-Gloryville-Event überzeugt. „Hier sind mir alle zu jung und aufgeputzt.“ Gerade erst in der Vorwoche habe sie die Konkurrenzveranstaltung Daybreaker besucht und dort dank des älteren Publikums und gedimmten Lichts eher sie selbst sein können, erzählt sie.


Neue Generation, neue Ansprüche. Daybreaker – das ist die zweite frühmorgendliche Eventlinie, die zurzeit sowohl in New York als auch international die gesundheitsbewusste, drogenfreie Partyszene erobert. Die beiden gebürtig aus Brooklyn stammenden Veranstaltungsorganisatoren, Radha Agrawal und Matthew Brimer, haben Daybreaker als Kunstprojekt und soziales Experiment im Dezember 2013 gegründet– ein halbes Jahr nach dem einschlagenden Erfolg und medialen Hype um Moyos Londoner Morning Gloryville.

Ihre Eventreihe sei jedoch völlig unabhängig davon aus einem mitternächtlichen Gedankenspiel und dem Bedauern über die deprimierend unpersönliche Ausgehkultur entstanden, betonen die beiden. Um der stetig wachsenden Nachfrage nachzukommen, haben auch sie mittlerweile Ableger in Metropolen wie London, Tel Aviv und São Paolo gestartet und bekommen nach wie vor hunderte Mails von Interessenten auf der ganzen Welt, die auf den frühmorgendlichen Partyzug aufspringen wollen.

Abgesehen von dem feinen Unterschied, dass ihre Events in abgedunkelten Nachtclubs stattfinden und sich Brimer und Agrawal die Bezeichnung Rave für ihre Morgenpartys verbieten, sind Ziel und Antrieb der beiden Veranstaltungen identisch.

Sowohl die Gründer von Morning Gloryville als auch von Daybreaker sehen einen Trend weg vom traditionellen Nachtleben. Denn dieses könne sich laut Brimer und Agrawal oft düster, exklusiv und selbstzerstörerisch anfühlen. Auch Fabricant konstatiert unter Jugendlichen ein steigendes kollektives Bewusstsein und den Wunsch, am Status quo zu rütteln. Im gleichen Maß, wie der Generation Y der Appetit nach hartem Clubbing vergehe, nehmen der Gesundheitstrend und das Verlangen nach echtem Gemeinschaftsgefühl ihrer Ansicht nach wieder zu.

Samantha Moyo, Mutter aller Morgenpartys, ist von dem positiven Trend hin zu einer gesünderen Ausgehkultur, den ihre Events weltweit in Gang gebracht hätten, überzeugt. Man merkt, sie glaubt an die revolutionäre Kraft des „conscious clubbing“. Damit ist sie nicht allein. Inzwischen werden sie und ihr Team immer öfter von Großkonzernen für den Start in den Arbeitstag oder als entspannende Abschlusseinlage großer Firmenworkshops gebucht, zu TED-Talks und Interviews eingeladen.


Sinkende Alkoholabsätze. Moyo führt halb im Spaß, halb ernst selbst die seit einigen Jahren nachweislich sinkenden britischen Alkoholabsätze auf die heilende Wirkung von Morning Gloryville zurück. „Ich weiß nicht, wo es noch hinführt, aber es hat schon jetzt alle unsere Erwartungen übertroffen“, resümiert sie.

Für die Zukunft schwebt ihr ein Event in den österreichischen Alpen, mitten in der Natur, vor. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird noch im Lauf dieses Jahres ein Ableger von Morning Gloryville in Österreich starten, so die New Yorker Veranstalter. Ob dieser schlussendlich in den Bergen oder doch in der Hauptstadt angesiedelt ist, wird sich noch zeigen. Genauso wie die Resonanz der österreichischen Partyszene. Schließlich trennt Wien von New York doch etwas mehr als nur der Atlantik.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.06.2015)

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