China: Aktienboom macht Millionen reich

(c) REUTERS (ALY SONG)
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Die Regierung befeuert Börsengänge, weil sie hofft, dass Unternehmen damit ihre Schuldenlast reduzieren. Experten warnen vor einer Blase und deren Folgen weit über China hinaus.

Shanghai. Am Dienstag hat der Atomkonzern China National Nuclear Power beim Börsengang in Shanghai rund zwei Mrd. Euro eingesammelt. Jetzt bahnt sich das nächste Milliarden-IPO an: Der drittgrößte Broker der Volksrepublik, Guotai Junan Securities, will bei seinem Sprung auf das Handelsparkett in Shanghai 4,3 Mrd. Euro erlösen – das wäre der größte Börsengang seit fünf Jahren. Den Rekord hält noch die Agricultural Bank of China, die bei ihren Emissionen in Shanghai und Hongkong im Juli 2010 insgesamt rund 22 Mrd. Dollar lukrierte.
Das ist aber noch lange nicht das Ende des Booms: Allein im April hat die Börsenaufsicht der Volksrepublik 30 Emissionen gebilligt, im Jänner waren es 20 und im Februar und März je 24. Seit Jänner sind rund 140 Firmen an die Börse gegangen.

Nachdem die chinesische Zentralbank im Vorjahr die Zinsen überraschend gesenkt hatte, boomt der Aktienhandel in China. Davon profitierten vor allem Finanzdienstleister, die deswegen verstärkt selbst aufs Börsenparkett streben. So etwa streben auch der größte Aktienhändler, Huatai, die chinesische Postbank und die Investmentbank CICC den Gang auf den Finanzmarkt an. Der Onlinehändler Alibaba, der im Vorjahr in New York den größten Börsengang der Geschichte aufs Parkett gelegt hat, will 2017 seine Finanzsparte in der Heimat platzieren. In Summe wollen Banken, Börsenmakler und Versicherer in den nächsten Monaten mindestens 30 Mrd. Dollar durch die Ausgabe von Aktien in Hongkong einsammeln.

150 Prozent Kursgewinn

Binnen der letzten zwölf Monate haben die Kurse in Shanghai um 150 Prozent zugelegt, in Shenzhen haben sie sich verdreifacht. Chinas Aktien sind derzeit rund zehn Billionen Euro wert – das ist schon fast die Hälfte des US-Marktes.

Die unglaubliche Rallye macht aber nicht nur die Unternehmen reich, sondern Millionen (in China geht es immer gleich um Millionen) Kleinanleger, Beamte, Studenten, Hausfrauen. Vor allem junge Menschen zocken online, inzwischen auch am Smartphone, zitierte „Die Welt“ kürzlich den Chef eines Brokerhauses. „Der Markt ist jetzt ein bisschen verrückt. Sogar Wanderarbeiter beginnen damit, Aktienkonten zu eröffnen“, sagte Shen Zhengyang von Northeast Securities.

Vorsicht? Angst vor einer Blase? Angesichts der rasant wachsenden Gewinne zieht offenbar kaum einer der Neokapitalisten diese Gefahr in Betracht, obwohl 2007 nach dem Crash viele Menschen Geld verloren haben. Der Grund: Die Regierung selbst befeuert diesmal den Börsenboom, indem sie über ihre Medien den Kauf von Aktien anpreist. Die Regierung hofft nämlich, damit den riesigen Schuldenberg des Landes in den Griff bekommen zu können.

Die Gesamtschulden von Staat, Banken, Unternehmen und Privaten liegen bei 280 Prozent der Wirtschaftsleistung – und diese wächst nicht mehr so exponentiell. Der Großteil der Schulden, mit 170 Prozent des BIPs, lastet auf den Unternehmen. Die Überlegung Pekings lautet nun: Wenn die zum Teil staatlich kontrollierten Firmen Kapital an der Börse aufnehmen, können sie so zumindest teilweise ihre Schulden reduzieren.

Experten warnen jedoch davor, dass die Rechnung nicht aufgehen könnte. Platzt die Blase, würden das diesmal nicht nur die vielen Kleinanleger zu spüren bekommen, sondern auch der Rest der Welt. Denn wenn die Konsumenten mangels Geld zu sparen beginnen, bremst das die gesamte chinesische Wirtschaft. Lässt die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt nach, dämpft das natürlich auch die Importe aus westlichen Industrienationen. (ag./eid)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2015)

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