Schuldenkrise: „Zweites Waterloo“ am Kirchberg

Yanis Varoufakis
Yanis VaroufakisAPA/EPA (JULIEN WARNAND)
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Euro-Finanzministertreffen. Nach fruchtlosen Verhandlungen berief die EU für Montagabend einen Sondergipfel in Brüssel ein. Für taktische Manöver gab es kein Verständnis.

Luxemburg. Am Ende haben sich die Befürchtungen von Pierre Moscovici bewahrheitet. Sollten die Verhandlungen der Eurogruppe über Griechenland auch diesmal keine Lösung bringen, wäre dies ein „zweites Waterloo“, warnte der EU-Währungskommissar Donnerstagnachmittag vor dem Beginn des Finanzministertreffens am Luxemburger Kirchberg. Doch nach gut einstündigen Gesprächen war klar: Das über beide Ohren verschuldete Griechenland und seine Geldgeber sind sich gestern nicht näher gekommen. Dabei hatte es im Vorfeld geheißen, der griechische Ressortchef Yanis Varoufakis würde dieses Mal mit konkreten Vorschlägen in die Verhandlungen gehen – kolportiert wurden Zugeständnisse der populistischen Links-rechts-Regierung bei der geforderten Reform des griechischen Pensionssystems.

Doch statt Zahlen auf den Tisch zu legen, referierte Varoufakis dem Vernehmen nach gut 30 Minuten über den jüngsten Blogeintrag des scheidenden IWF-Chefvolkswirts Olivier Blanchard, der von beiden Seiten „schwierige Entscheidungen“ forderte, sowie über seine eigenen Ideen. Dazu gehörte auch der altbekannte Vorschlag, man möge die griechischen Verbindlichkeiten gegenüber der Europäischen Zentralbank mit Mitteln aus dem Euro-Rettungsfonds ESM tilgen.

Nachdem klar war, dass damit das Ende der griechischen Fahnenstange erreicht war, erklärte Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem die Sitzung für beendet. Nun sind die Staats- und Regierungschefs am Zug: Ratspräsident Donald Tusk lud die Entscheidungsträger der Eurozone für Montagabend zu einem Sondergipfel ein, um nach einer Lösung zu suchen. Oder, um mit den Worten von IWF-Chefin Christine Lagarde zu sprechen: Es ist an der Zeit, unter Erwachsenen zu sprechen – ein kaum verhohlener Seitenhieb auf den unbeliebten Varoufakis. Wie diese Lösung aussehen könnte, blieb am Donnerstagabend ebensowenig beantwortet wie die Frage, ob den Verhandlungspartnern genug Zeit bleibt, um einen Deal zu schließen. Die Lage sei „extrem beunruhigend und extrem schwierig“, gab Moscovici zu, während der Eurogruppenchef darauf hinwies, dass kaum Fortschritte erzielt wurden.

Varoufakis kam indes zu einer anderen Einschätzung: Die Differenzen zwischen Athen und den Geldgebern Griechenlands würden sich lediglich auf einen halben BIP-Prozentpunkt belaufen. Stattdessen schob der griechische Finanzminister der Gegenseite die Schuld in die Schuhe: Vertreter von EU-Kommission, EZB und IWF hätten bis dato kein Mandat gehabt, um über „notwendige Maßnahmen zur Umschuldung“ zu verhandeln – eine Chiffre für den Zugriff auf die Geldtöpfe des ESM.

Auf Chefebene wird weiter debattiert

Varoufakis und sein Vorgesetzter, Regierungschef Alexis Tsipras, streben eine „politische Lösung“ der Krise an – sie wünschen sich eine Tilgung der griechischen Schulden, die derzeit rund 180 Prozent des griechischen BIPs ausmachen, und weniger strenge Reformauflagen. Daher auch das Bestreben, die Debatte auf die Chefebene zu heben.
Am 30. Juni muss Athen 1,6 Mrd. Euro an den Internationalen Währungsfonds überweisen, am selben Tag läuft das Hilfsprogramm von EU-Kommission, IWF und EZB für Griechenland aus. Dass es bis zum 1. Juli einen Deal gibt, hält Dijsselbloem mittlerweile für unmöglich – man müsse sich Gedanken über eine Verlängerung des Hilfsprogramms machen. Voraussetzung ist aber, dass es einen Kompromiss gibt. Möglicherweise hat Athen aber noch weniger Zeit zur Verfügung: Medienberichten zufolge haben die Griechen seit Wochenbeginn drei Mrd. Euro von ihren Konten abgehoben. Hält dieser Geldabfluss an, ist die Solvenz der griechischen Institute in Gefahr – und Kapitalkontrollen unumgänglich. Während der zypriotischen Bankenkrise 2013 wurde dieses Instrument erfolgreich angewandt, doch Insider zweifeln, ob dies im Falle Griechenlands ebenfalls funktionieren könnte.


Ein hochrangiger EU-Beamter betonte vor dem Finanzministertreffen, dass die „hohe Qualität“ der zypriotischen Verwaltung zum Erfolg beigetragen hatte - ein Verweis auf die suboptimale griechische Bürokratie. Soll heißen: Auch bei gutem Willen werde es Athen nicht gelingen, die Grenzen dicht zu machen und den Kapitalabfluss aufzuhalten. Vor diesem Hintergrund wird der griechische Ruf nach einer „politischen“, also technisch nicht so sauberen, Lösung verständlicher.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.06.2015)

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