Strukturreformen: Paradigmenwechsel in Industrie nötig

(c) REUTERS (MARKO DJURICA)
  • Drucken

Das griechische Entwicklungsmodell stützte sich stets zu sehr auf den Inlandsmarkt, jetzt soll in exportorientierte Sparten investiert werden.

Athen. Als ob man in einem anderen Land lebte, hört es sich an, wenn man Ministerpräsident Alexis Tsipras vom Radikalen Linksbündnis Syriza zuhört, der die Konservativen und die Sozialisten, die das Land seit dreißig Jahren regiert hatten, bei den Wahlen vom 25. Jänner 2015 ablöste. Von nun an werde alles anders, alles besser, sagte er – wenn erst die Lösung der Schuldenkrise gelungen ist. Investitionen werden ins Land strömen, Korruption und Schattenwirtschaft endlich effizient bekämpft, die kreativen Kräfte gestärkt und gefördert werden. Das haben vor ihm schon andere gesagt. Und dem Land keinen guten Dienst erwiesen: Jede neue Verwaltung will das Rad neu erfinden, tauscht alte Kader aus, löst alte Dienste auf oder umgeht sie mit neuen, parallelen Strukturen. Das Resultat: Bis eine neue Regierung in Athen Tritt fasst, vergehen im Normalfall ein bis zwei Jahre, aber dann sind, vor allem in den Krisenjahren seit 2010, schon die nächsten in der Warteschleife.

Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit? Alle sprechen davon, dass Griechenland ausländische Investitionen brauchte, um Arbeitsplätze zu schaffen, technisches Know-how zu gewinnen und sich zu modernisieren. Doch seit mehr als einem Jahr werden keine nationalen Investitionsförderungen für den griechischen Markt vergeben. Die Vorgängerregierung setzte das Gesetz aus, um es den neuen regionalen Fördergrenzen der EU anzupassen, die Gesetzesnovelle verspätete sich, dann kamen die Wahlen, und jetzt wird der ganze Entwurf anscheinend von Neuem gemacht. Ein Jahr ohne nationale Fördermechanismen in einem Land mit über 25 Prozent Arbeitslosigkeit – kaum zu glauben, aber wahr.

Doch wo steht die griechische Wirtschaft? Das Land hat sich in den vergangenen Jahrzehnten von einer agrarisch geprägten Gesellschaft zu einer Nation von Dienstleistern entwickelt. Über 80 Prozent der Wirtschaftsleistung werden vom Tourismus, vom Handel, von der Computerbranche, Banken, Versicherungen, vom Immobilienmarkt etc. erwirtschaftet. Der Anteil der Industrie ist gering (16 Prozent), nicht nur im europäischen Vergleich, sondern vor allem auch in Relation zur Nachfrage im Inland. Das heißt, dass die Güterbilanz, vor allem in guten Zeiten, stark defizitär war, weil viele wichtige Industrie- und Konsumgüter importiert wurden. Als 2010, nach dem ersten Sparpaket infolge der Schuldenkrise, der Inlandsmarkt völlig zusammenbrach, wurde es mit einem Mal klar: Das „griechische Entwicklungsmodell“ stützte sich vor allem auf den Inlandsmarkt, auf unproduktive Märkte wie den Bausektor, den Handel, den immer aufgeblasenen öffentlichen Dienst. Als dieser zusammenbrach, mussten viele Firmen zusperren, weil sie keinen Zugang zu Auslandsmärkten fanden. Ab 2012/2013 sprach man immer mehr von der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels in der griechischen Industrie, von der gezielten Förderung exportorientierter Sparten und machte neun Branchen aus: Landwirtschaft und Lebensmittelindustrie, Energie, Umwelt, Logistik, Gesundheit, Informations- und Kommunikationstechnologie, Bau und Baustoffe, Kultur-Export, Auslandstourismus. Dieses Modell stützt sich teilweise auf die schon heute stärksten produktiven Sparten: Neben Aluminium- und Kunststoffindustrie sowie dem Bergbau ist vor allem die Lebensmittelindustrie mit Joghurt, Schafkäse, Olivenöl etc. enorm wichtig für den Export.

Modernisierung durch Privatisierungen

Etwas anderes hat man auch von der neuen Regierung noch nicht gehört. Industrien mit „Hebelwirkung“ sollen gefördert werden, auch die Hochtechnologie; Klein- und Mittelbetriebe sollen modernisiert werden. Wie das geschehen soll, weiß man noch nicht, abgesehen von einem interessanten Abfallbewirtschaftungsplan, der auf regionaler Müllbearbeitung basiert. Großen Privatisierungsprojekten steht die aktuelle Links-rechts-Regierung misstrauisch gegenüber, obwohl sie, wie die chinesische Cosco im Hafen von Piräus, Modernisierungsschübe ausgelöst haben. Das einzige Mittel, um das neue Modell umzusetzen, ist – angesichts der leeren Kassen – der neue EU-Rahmenplan 2014–2020, mit dem 21 Milliarden Euro an EU-Geldern nach Griechenland gepumpt werden sollen. Viel Geld fließt in das Programm zur Wettbewerbsfähigkeit (3,6 Milliarden Euro), noch mehr Geld aber, wie schon bei den vorhergehenden Programmen, in die Verkehrs- und Umweltinfrastrukturen, also in Straßen, Schienen, Kläranlagen und in die Müllbehandlung (insgesamt 4,3 Milliarden Euro).

Dem vielleicht stärksten Schwachpunkt der griechischen Wirtschaft, den kaum wettbewerbsfähigen Klein- und Mittelbetrieben, wird damit wieder nur sehr begrenzt geholfen. Es ist kaum bekannt, dass Griechenland der EU-Staat mit dem größten Anteil an Selbstständigen in der ganzen EU ist. Es handelt sich allerdings in der Mehrzahl um Einmannfirmen, die weder das Know-how noch die Größe noch das Kapital für die Exportwirtschaft aufbringen. So reicht es nicht, wenn man einem Olivenölproduzenten, etwa in der Mani oder in Kreta, bei der Produktion und der Etikettierung seines einmaligen, jungfräulichen Bio-Olivenöls hilft. Denn wenn der Großhändler aus Mitteleuropa kommt, dann fordert er Abnahmemengen, die die griechischen Unternehmen nicht liefern können, weil sie zu klein sind. Es gilt also nicht nur, die Qualität zu fördern, es müssen auch Kooperations-, Marketing- und Verteilungsnetze aufgebaut werden, die den Ansprüchen des gemeinsamen europäischen Marktes gerecht werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.