„Der Ball liegt im Feld der Europäer“

Russische Rubel
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Putins Wirtschaftsberater, Andrej Belousov, hat Baustellen ohne Ende. Wie Russland die Krise meistert und welcher Platz westlichen Firmen bleibt, erklärt er im Interview.

Die Presse: Eben hat die EU die Sanktionen verlängert. Mich wundert, dass das auf dem Internationalen Wirtschaftsforum dieser Tage in Petersburg keine Aufregung mehr hervorrief. Hat man sich daran gewöhnt?

Andrej Belousov: Ich kann ganz sicher sagen, dass wir uns an die Sanktionen adaptieren. Das Schwierigste für uns war der blockierte Zugang zu den Finanzmärkten. Und zwar auch deshalb, weil sich dieses Problem zu zwei anderen Trends gesellte. Zum einen dem Ölpreisverfall. Der zweite Trend ist schwieriger zu beschreiben. Und zwar, dass wir seit 2000 eine Blase auf dem Konsummarkt geschaffen haben. Die Löhne sind schneller gewachsen als die Produktivität und haben Konsum sowie Import angetrieben. Am Ende hatten wir die Situation, dass wir den Rubel ab 2013 selbst dann hätten abwerten müssen, wenn der Ölpreis hoch geblieben wäre und Sanktionen ausgeblieben wären.

Wie stark würde denn die Rezession ohne Sanktionen ausfallen?

Sehr wahrscheinlich gleich stark.

Hieße, dass die Sanktionen überhaupt keinen Einfluss haben.

Sie haben die Produktionsdynamik praktisch nicht beeinflusst.

Aber das Problem des beschränkten Zugangs zum westlichen Kapitalmarkt haben Sie ja selbst zugegeben.

Zweifellos führte das zu einer gewissen Kürzung bei der Investitionsaktivität. Aber das ist ja ein langfristiger Prozess. Und auch hier findet eine Adaptierung statt. Ich kann sagen, dass wir im ersten Quartal 2015 eine rekordverdächtig niedrige Kapitalflucht im Nichtbankensektor hatten. Das hat uns selbst etwas überrascht.

Nun hat Ex-Finanzminister Alexej Kudrin dieser Tage gesagt, Russland befinde sich „im Auge des Orkans“. Laut Putin aber ist das Schlimmste vorbei. Einer von beiden muss da wohl lügen.

Da muss ich wohl ausführlicher antworten. Was haben wir erreicht, und was haben wir nicht erreicht? Wir haben das makroökonomische Gleichgewicht wiederhergestellt. Der Wechselkurs ist mehr oder weniger stabil. Bei der Inflation hat es eine Trendwende gegeben, und sie begann zu sinken. Das Budgetdefizit befindet sich unter Kontrolle, die Staatsschulden ebenso.

Und welche Probleme haben Sie nicht gelöst?

Das Problem der hohen Kreditzinsen. Aber diese sind nicht so sehr eine Folge der Sanktionen als vielmehr des Auswegs aus dieser Blase, die ich erwähnt habe, und der faulen Kredite, die sich im Vorjahr angehäuft haben.

Hat Kudrin recht oder Putin?

Schon kraft meiner Funktion kann ich nicht sagen, dass Kudrin recht hat. Aber ich stimme natürlich zu, dass wir das Problem der Rezession noch nicht überwunden haben. Es wird im besten Fall bis September virulent bestehen bleiben.

Russland wird das Importembargo als Reaktion auf die Sanktionsverlängerung beibehalten. Es ist nicht auszuschließen, dass Russland sich damit selbst schadet. Was raten Sie Putin?

Ich kann nur sagen, dass die Gegensanktionen helfen, die eigene Produktion in einigen Sektoren zu entwickeln und den Import zu ersetzen.

Das wird ja in der Tat als Plus gesehen. Aber diese Chance wird dadurch hintertrieben, dass Russland nur eingeschränkt Zugang zum Kapitalmarkt hat.

Da haben Sie recht. Aber die Substitution findet statt, wenn auch nicht in dem Ausmaß, in dem sie stattfinden könnte. Das Hauptproblem ist aber nicht, dass Geld aus dem Westen schwer zu bekommen ist, sondern dass die Kreditzinsen im Inland so hoch sind.

Wie könnte man aus der Sanktionenspirale herauskommen?

Der Ball liegt klar im Feld der Europäer. Nicht wir haben mit den Sanktionen begonnen, also liegt es auch nicht an uns, sie aufzuheben.

Kann das Verhältnis mit dem Westen so repariert werden, dass es wie vor den Sanktionen aussieht? Oder wird es langfristig beschädigt bleiben?

Ich denke, dass die Beziehungen auf politischer Ebene repariert werden können. Und das wird unweigerlich geschehen. Was die Wirtschaft betrifft, ist die Situation leider weitaus schwieriger, weil europäische Firmen und Länder schon in bedeutendem Ausmaß Anteile am russischen Markt verloren haben. Sie wiederzugewinnen ist ziemlich schwer. Gewiss, die Firmen gehen nicht weg.

Also ist das Vertrauen nicht so sehr gestört?

Nicht wesentlich. Investoren signalisieren uns, dass Politik und Wirtschaft getrennt sein sollten. Auch deklarieren viele Firmen die Absicht, Produktion bei uns zu lokalisieren. Also wenn schon nicht Import, dann Lokalisierung der Produktion. Wir versuchen, dabei zu helfen, weil die Verbindungen mit Europa für uns entscheidend sind.

Hört man sich die Kritik russischer Geschäftsleute an den Zuständen im Land an, kann man schlussfolgern, dass Putin in 15Jahren am Ruder vieles, was nötig gewesen wäre, nicht getan hat. Warum sollten Unternehmer glauben, dass genau dieser Mann es nun, da harte Reformen anstehen, richten und sich sozusagen neu erfinden kann?

Zwei Momente gilt es zu beachten. Erstens, dass sich die Lebensbedingungen seit Putins Amtsantritt radikal verbessert haben.

Ja, aber wegen der Rohstoffhausse seit dieser Zeit.

Nur zum Teil. Entscheidend war die Entschlossenheit zu handeln. Das zweite Moment, das für Putin spricht, ist, dass er im Volk eine beispiellos hohe Unterstützung hat. Zum Teil halfen hier natürlich die Sanktionen, die den nötigen Zusammenhalt hervorrufen. Aber nicht nur das. Die Aktionen, die der Kreml in der letzten Zeit gesetzt hat, werden von der Gesellschaft als gerecht wahrgenommen. Deshalb ist die Unterstützung für Putin so massenhaft.

ZUR PERSON

Andrej Belousov (56) ist seit 2013 Chef des Wirtschaftsressorts im Kreml und damit oberster Wirtschaftsberater von Präsident Wladimir Putin. Zuvor war der studierte Ökonom, der lang das Moskauer Institut für makroökonomische Analysen (ZMAKP) geleitet hat, Wirtschaftsminister.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2015)

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