Griechenland: Vorsprung der Reformgegner schmilzt

Demonstrations In Athens As Greek Bailout Set To Expire
Demonstrations In Athens As Greek Bailout Set To ExpireBloomberg
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Zwar wollen laut einer Umfrage 54 Prozent der Griechen beim Referendum mit "Nein" stimmen, aber die Stimmung könnte noch kippen.

Wenige Tage vor dem in Griechenland geplanten Referendum über Sparauflagen der Gläubiger schwindet offenbar die Mehrheit der Reformgegner. Zwar gaben in einer am Mittwoch veröffentlichten Erhebung des Instituts ProRata 54 Prozent der Befragten an, am Sonntag gegen die Vorschläge der Geldgeber stimmen zu wollen.

Wird die Umfrage aufgeschlüsselt, ergibt sich aber ein differenziertes Bild: Unter Umfrageteilnehmern, die vor der Entscheidung zur vorübergehenden Schließung der griechischen Banken befragt wurden, liegt der Anteil der Nein-Stimmen bei 57 Prozent, 30 Prozent wollten demnach die Reformen befürworten. Nach den Banken-Schließungen und der Einführung von Kapitalverkehrskontrollen sprachen sich lediglich noch 46 Prozent gegen die Sparpläne aus, 37 waren indes dafür.

(Fast) alles läuft auf ein Ja hinaus

Eine Analyse bisheriger europapolitischer Referenden zeigt, dass alles andere als ein Ja zu den Gläubigerplänen eine gewaltige Überraschung wäre.

"Die Griechen werden Herrn Tsipras eine Lektion in Demokratie erteilen", betont der Londoner Politikwissenschaftler Matt Qvortrup auf APA-Anfrage. Es sei "fast sicher", dass die Stimmbürger entgegen der Nein-Empfehlung der Linksregierung mehrheitlich mit Ja stimmen werden. Qvortrup gilt als führender internationaler Referendumsexperte und hat sich besonders intensiv mit den rund 40 europapolitischen Volksabstimmungen der vergangenen vier Jahrzehnte beschäftigt.

So weist er darauf hin, dass drei Viertel dieser Referenden positiv für den europäischen Einigungsprozess ausgegangen seien. Nein-Mehrheiten habe es vor allem in Zeiten des wirtschaftlichen Aufschwungs gegeben. In solche Phasen fielen etwa die Volksabstimmungen über die EU-Verfassung 2005 oder das dänische Nein zum Maastricht-Vertrag im Jahr 1992.

Irländer akzeptierten strenge Auflagen

In Krisenzeiten hielten die Stimmbürger dagegen der Europäischen Union die Stange. Das Paradebeispiel dafür sind die beiden Volksabstimmungen über den Vertrag von Lissabon in Irland. Im Juni 2008 votierten 53 Prozent der Iren gegen den Vertrag, im September 2009 67 Prozent dafür.

Qvortrup führt in diesem Zusammenhang ein weiteres Beispiel an, das britische EG-Referendum im Jahr 1975. Zwei Drittel der Stimmbürger sprachen sich vor dem Hintergrund hoher Arbeitslosenzahlen und einer zweistelligen Inflationsrate für den Verbleib in der Europäischen Gemeinschaft aus. "Grundsätzlich bringen Referenden in Krisenzeiten eine Ja-Mehrheit", resümiert der Experte.

(APA/Reuters)

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