Deutschland: Fossile Energieriesen atmen auf

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Berlin verzichtet auf eine Klimasteuer für Kohlekraftwerke. Der Stromkunde soll die CO2-Reduktion bezahlen. Große deutsche Energieversorger wie RWE oder E.On steigen im Wert.

Berlin. In den vergangenen sechs Monaten gab es für die Aktie des deutschen Energieversorgers RWE nur eine Richtung: steil bergab. Die Sorge vor einer drohenden Klimaabgabe auf Kohlekraftwerke hat die Aktionäre in Scharen dazu bewogen, Anteile an Europas größtem CO2-Emittenten zu verkaufen. Die traurige Bilanz per Ende Juni: minus 24 Prozent.

Seit gestern ist es damit vorbei. In der Nacht auf Donnerstag einigte sich die deutsche Bundesregierung auf einen – für die Branche – harmloseren Weg, um die angestrebten Klimaziele bis 2020 zu erreichen. Die heftig bekämpfte Klimaabgabe kommt nicht, teilte das Wirtschaftsministerium am Donnerstagmorgen mit. Darauf hätten sich die deutsche Bundeskanzlerin, Angela Merkel (CSU), und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) geeinigt.

Kohlekraftwerke in die Reserve

Die Anleger an den Börsen reagierten prompt – und kehrten in die Arme der fossilen Energieriesen zurück. Die Papiere der RWE legten im Tagesverlauf um knapp sechs Prozent zu, die Aktien des Branchenkollegen E.On kletterten zwischenzeitlich um mehr als 3,5 Prozent. „Das ist eine große Erleichterung für RWE“, bewertete ein Analyst der Commerzbank den Kompromiss der Regierung. Das Unternehmen hatte im Vorfeld gedroht, 17 seiner zwanzig Braunkohlekraftwerke und zwei von drei Minen zu schließen, sollte die Klimaabgabe Realität werden. Das ist nun vom Tisch.

Deutschland hat sich für einen anderen Weg entschieden, um die CO2-Emissionen des Landes bis 2020 wie geplant um 40 Prozent gegenüber 1990 zu verringern. Die Energiewirtschaft muss dafür 22 Millionen Tonnen CO2 zusätzlich einsparen. Statt der verhinderten Klimaabgabe setzt die Regierung nun auf die Schließung bestimmter Braunkohlekraftwerke. Standorte mit einer Leistung von insgesamt 2,7 Gigawatt – das entspricht etwa fünf großen Anlagen – sollen vom Netz genommen werden.

Stromkunde soll bezahlen

Um die notwendige Stabilität des deutschen Stromnetzes zu gewährleisten, werden diese Kraftwerke aber nur in eine Reserve verschoben. Die dafür geschätzten Kosten von 230 Millionen Euro im Jahr sollen die Stromkunden tragen, teilte das deutsche Wirtschaftsministerium mit. Es sei „klar, dass die Energiewende etwas kosten muss“, so Gabriel. Das teilweise Einmotten der alten Braunkohlemeiler reicht aber nicht, um die notwendigen Einsparungen zu erzielen. Die Koalition entschied sich daher auch für einen weiteren Ausbau von effizienteren und umweltschonenderen Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen. Bezahlen sollen dafür ebenfalls die deutschen Bürger. Geplant ist eine Umlage über den Strompreis in der Höhe von weiteren zwei Milliarden Euro bis 2020. Um Windstrom aus dem Norden künftig besser nach Süddeutschland zu bringen, fixierten die Verhandler zudem neue Trassenführungen für Leitungen.

Zehn Milliarden Euro teurer

In Summe wird das neue Konzept die deutschen Bürger fast zehn Milliarden Euro mehr kosten als die ursprünglich geplante Klimaabgabe für alte Braunkohlekraftwerke. Die Reaktionen auf den Kompromiss waren abseits der Börsen sehr unterschiedlich. Von der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie gab es für den Gesinnungswandel der Regierung erwartungsgemäß viel Lob. Ganz anders klingt die Bewertung dieser Einigung von Bastian Neuwirth, dem Energieexperten von Oxfam: Mit dem Aus für die Klimaabgabe verspiele Bundeskanzlerin Angela Merkel „jegliche klimapolitische Glaubwürdigkeit“, erklärte er. (auer/ag)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2015)

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