Chinas hoch riskantes Börsenfieber

A man watches a board showing stock prices at a brokerage office in Beijing
A man watches a board showing stock prices at a brokerage office in Beijing(c) REUTERS (KIM KYUNG-HOON)
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Nach einem spekulativen Boom geht es auf Chinas Aktienmärkten zu wie bei einer Achterbahnfahrt. Das deutlich verlangsamte Wachstum macht sich nun an den Börsen bemerkbar.

Peking. Die ökonomischen Daten haben die Kurs-Rallye an den chinesischen Aktienmärkten der vergangenen Monate schon lang nicht mehr gerechtfertigt. Nach einem Jahrzehnte anhaltenden Boom kühlt das Wachstum in der Volksrepublik immer weiter ab. Die Firmengewinne gehen zurück. Die Regierung strebt in diesem Jahr nur noch ein Wirtschaftswachstum von sieben Prozent an, so wenig wie seit einem Vierteljahrhundert nicht. Trotzdem erreichten Chinas Aktienmärkte bis Mitte Juni immer neue Höchststände. Innerhalb eines Jahres legten sie um rund 150 Prozent zu.

Doch seit nunmehr drei Wochen geht es auf den chinesischen Börsenparketts zu wie bei einer Achterbahnfahrt. Am Freitag verlor der Shanghai Composite, der wichtigste Börsenplatz auf Chinas Festland, innerhalb eines Handelstages fast sechs Prozent seines Werts. Am Montag schoss er zwischenzeitlich wieder um mehr als sieben Prozent in die Höhe – um bis zum Börsenschluss mit 3775,91 auf ein Plus von 2,4Prozent zu kommen.

Die Kursverluste der vergangenen Wochen sind bei Weitem nicht wettgemacht. Seit dem Höchststand Mitte Juni hat er fast 30Prozent an Wert eingebüßt. Umgerechnet rund 350 Milliarden Euro gingen verloren. Es handelt sich um Chinas größten Kursverlust seit Dezember 1996. Damals löste der Sturz die fast zwei Jahre anhaltende Asien-Krise aus.

Alle mischen an der Börse mit

Das Börsenfieber der vergangenen Wochen hatte kaum einen Chinesen kalt gelassen. Von der Kioskbesitzerin, dem Taxifahrer bis hin zum Millionär – sie alle mischten kräftig an den Aktienmärkten mit. Jeder schien jemanden zu kennen, der mit ein paar Mausklicks ein Vermögen gemacht hatte. Selbst an Bushaltestellen und in U-Bahnen waren Leute zu sehen, die ständig auf ihre speziellen Investment-Apps starrten.

Dabei war dieser Boom zum großen Teil politisch gesteuert. „Die Regierung wollte ihren Bürgern das Geld aus der Tasche locken“, sagt der Analyst Chen Long vom unabhängigen Wirtschaftsinstitut Dragonomics. Analysten zufolge wurden zeitweise bis zu 170.000 neue Depots eröffnet. Pro Tag wohlgemerkt. Was Depots für Börsenneulinge so attraktiv machte: Anleger durften von Anfang an auch mit geliehenem Geld spekulieren. Zugleich hat sich im ersten Halbjahr die Zahl der Börsengänge in China von 103 auf 239 mehr als verdoppelt – so viel wie in keinem anderen Land. Beides befeuerte die chinesischen Aktienmärkte.

Der Hintergrund: Chinas Lokal- und Provinzregierungen haben in den vergangenen Jahren enorme Schulden angehäuft. Die Banken drohen nun auf diesen Schulden sitzen zu bleiben und halten sich mit Investitionen zurück. Das trifft die Realwirtschaft und erklärt das verlangsamte Wachstum.

Viele chinesische Privathaushalte haben zugleich erhebliche Vermögen angespart. Die Sparquote ist in der Volksrepublik ausgesprochen hoch. Sie liegt im Schnitt bei über 40Prozent. Kombiniert mit einer laxen Kreditvergabe versuchte die chinesische Zentralbank, dieses Privatvermögen in den Wirtschaftskreislauf zu lenken – lockte die Bürger vor allem aber auf die Aktienmärkte.

Analysten warnten schon Wochen vor dem ersten Crash, dass die kreditfinanzierte Aktienrallye nicht nachhaltig ist. Kaum einer setze auf eine langfristige Investition, kritisiert Yin Lizhong, Finanzexperte der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften. Die meisten warteten bloß auf neue Spitzenwerte, um dann schnell zu verkaufen und den Gewinn mitzunehmen.

Zentralbank senkte Zinsen

Inzwischen hat die Zentralbank die Zinsen weiter gesenkt, ebenso die Handelsgebühren. Zugleich hat sie den hoch spekulativen Handel mit Hebelprodukten wieder eingedämmt. Am Wochenende hat Premier Li Keqiang zudem auf einer eigens einberufenen Krisensitzung beschlossen, neue Börsengänge vorerst auszusetzen. Zugleich versprachen einige größere Wertpapierhäuser, Aktien für umgerechnet rund 17,5 Milliarden Euro zu kaufen, um die Märkte zu stabilisieren. „Die Turbulenzen werden aber anhalten“, ist sich Finanzexperte Yin sicher.

Die Analysten raten daher dringend zu weiteren grundlegenden Reformen, vor allem einer Öffnung der chinesischen Aktienmärkte für institutionelle Investoren aus dem Ausland. Solange sie fehlten, bleibe Chinas Aktienmarkt ein Kasino.

AUF EINEN BLICK

Börsenblase. Innerhalb eines Jahres stiegen die Kurse an den chinesischen Aktienmärkten um 150Prozent. Doch nun droht diese Spekulationsblase zu platzen. Viele Kleinanleger fürchten um ihr Geld. Sie wurden in den vergangenen Monaten animiert, Aktien zu kaufen. So wollte man die hohe Sparquote von 40Prozent senken. Täglich wurden in China bis zu 170.000 Depots eröffnet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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