Landwirtschaft: Hilfsplan für Frankreichs Bauern

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Paris will den Bauern mit 600 Mio. Euro unter die Arme greifen. Sie seien wegen des EU-Wettbewerbs ins Hintertreffen geraten – vor allem wegen zu tiefer Preise.

Paris. In geradezu panischer Angst vor einer Ausweitung und Radikalisierung der Protestaktionen der westfranzösischen Viehzüchter und Milchbauern hat die Regierung in Paris die Einzelheiten eines kurzfristig angekündigten Dringlichkeitsplans veröffentlicht. Dieser sieht 24 Maßnahmen und sechs Prioritäten vor, für die der Staat insgesamt 600 Mio. Euro auf den Tisch legen will. Im Wesentlichen soll damit die Schulden- und Abgabenlast der in Engpässen steckenden Landwirte verringert werden.

Außerdem möchte die Regierung die Exporte fördern und dank langfristiger Verträge zwischen Fleischproduzenten und ihren Abnehmern für Preisstabilität sorgen. Die französische Regierung verfügt, wie Landwirtschaftsminister Stéphane Le Foll einräumte, über einen beschränkten Spielraum. Sie kann die Preise nicht regulieren und auch keine direkten Subventionen bezahlen oder die Mehrwertsteuer senken, ohne ein EU-Veto zu riskieren. Der wichtigste Bauernverband, FNSEA, reagierte positiv auf diese Ankündigungen, ließ es aber offen, ob alle Straßenblockaden sofort aufgehoben würden.

Straßenblockaden seit Montag

Diese hatten am Montag begonnen. Mit Traktoren und Barrikaden aus Strohballen blockierten Bauern unter anderem die Straßen bei Caen in der Normandie sowie die Zufahrt zum Mont-Saint-Michel. Den Schweine- und Rinderzüchtern hatten sich auch Milchbauern und Gemüseproduzenten mit eigenen Forderungen angeschlossen.

Die Regierung fürchtete eine Radikalisierung der Bewegung und eine Ausdehnung auf das ganze Land. Denn das Vorgehen der protestierenden Bauern ist in Frankreich fast traditionell sehr radikal. Am Montag hatten Viehzüchter vor drei Supermärkten mehrere Ladungen Mist ausgekippt. Im vergangenen September hatten Gemüsebauern das regionale Steueramt in Morlaix völlig verwüstet und in Brand gesteckt. Monate davor hatte das Institut für Gesundheitsüberwachung die Öffentlichkeit mit der Meldung schockiert, dass sich fast jeden zweiten Tag ein französischer Bauer das Leben nimmt.

Jetzt sollen die Gespräche mit den Bauern fortgesetzt werden. Denn außer dringlichen Sofortmaßnahmen braucht es strukturelle Anpassungen. Wie FNSEA-Präsident Xavier Beulin erklärte, gibt es aber eine Priorität: die derzeit ungenügenden Produzentenpreise. Die Zahlen sprechen für sich: Wie soll ein französischer Milchproduzent auf Dauer überleben, wenn ihm eine Tonne seiner Produktion für 300 bis 310 Euro abgekauft wird, während die Herstellungskosten sich aber auf mehr als 350 Euro belaufen? Nicht viel besser sieht die Rechnung bei den Schweine- und Rinderzüchtern aus. Auch sie beklagen sich, weil sie beim aktuellen Stand der Preise, die ihnen bezahlt werden, nicht mehr kostendeckend oder sogar häufig mit Verlust arbeiten. In vielen Fällen gestehen die Betroffenen, dass sie ohne einen Nebenerwerb schlicht nicht überleben könnten. Nach Angaben aus dem Landwirtschaftsministerium stehen rund zehn Prozent der Zuchtbetriebe wegen Zahlungsunfähigkeit und Schulden vor dem Konkurs.

Diese Krise ist nicht neu. Die Probleme der Modernisierung und Investition sind seit Jahren bekannt. Die französische Landwirtschaft, die heute mit weniger als zwei Prozent zum BIP beiträgt, hat einen Rückstand akkumuliert. Und dies nicht bloß, weil sie sich etwa nur auf ihren Lorbeeren einer anerkannten Qualität ihrer Agrarprodukte für die Gastronomie oder ihrer Exportstärke in der Vergangenheit ausruht. Die verzögerte Anpassung an die Marktsituation rächt sich jetzt in einem drastisch verschärften Wettbewerb. Die französischen Familienbetriebe sind mit billigeren Milch- und Fleischprodukten aus deutschen, dänischen oder holländischen Großbetrieben konfrontiert.

Auch für den größten Bauernverband, FNSEA, ist es klar, dass das bisherige französische Landwirtschaftsmodell gegenüber der „unloyalen Konkurrenz“ anderer EU-Staaten überholt ist. Da der Markt einerseits für alle gleichermaßen geöffnet ist, die Regeln, Normen und die Abgaben aber von Land zu Land variieren, droht eine immer größere Verzerrung der Wettbewerbsbedingungen. „Solange es kein Europa mit einer gemeinsamen Sozialpolitik gibt, werden wir mit solchen Schwierigkeiten konfrontiert sein“, analysiert der Milchbauer Jean-Michel Hamel die marktwirtschaftliche Schräglage, in der er sich mit seinen 70 Milchkühen in Saint-Jores am Ärmelkanal befindet.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.07.2015)

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