Myron Scholes: „Volatilität lässt sich nicht vermeiden“

(c) Reuters (Phil McCarten)
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Nobelpreisträger Myron Scholes warnt vor allzu großen Hoffnungen, in einer stärkeren Regulierung der Märkte die Lösung aller Probleme zu sehen. Dadurch könnten nämlich neue Risken entstehen.

Die Presse: Sie haben in der Vergangenheit Spekulanten verteidigt: als Geschäftsleute, die dafür sorgen, dass Finanzmärkte funktionieren. Glauben Sie immer noch, dass Hedgefonds oder Spekulationen mit Derivaten einen positiven Beitrag zur Weltwirtschaft leisten?

Myron Scholes: Natürlich sind Hedgefonds weiterhin sinnvoll und wichtig. Sie sorgen für Liquidität auf den Märkten und tragen dazu bei, dass ein Marktgleichgewicht erreicht wird. Und Optionen sind ein wertvolles Risikoinstrument. In jedem Markt brauchen wir Mittler, die Käufer und Verkäufer zusammenbringen und dafür sorgen, dass alles effizient abläuft. Das gilt im Prinzip auch für diese komplexen Wertpapiere, die der unmittelbare Auslöser der aktuellen Finanzkrise waren. Bei ihnen hat sich aber gezeigt, dass es nicht funktioniert, sie außerbörslich zu handeln.

Deshalb haben Sie im März vorgeschlagen, diese komplexen Derivate zu „sprengen“, indem Regulatoren alle bestehenden Kontrakte zu mittleren Marktpreisen abschließen. Ist das nicht eine Kapitulation?

Scholes: Nein. Zurzeit ist niemand bereit, neues Risiko einzugehen. Die Kosten dafür sind hoch, wir brauchen einen frischen Start. Und der gelingt am besten, wenn man einen Schlussstrich zieht und den Handel auf eine elektronische Börse verlegt, wo Käufer und Verkäufer leichter zusammenfinden.

Auf einem freien Markt gehen die Menschen in Boom-Phasen immer mehr Risken ein, was sich im Abschwung von selbst korrigieren sollte. Aber in der aktuellen Krise hat diese Korrektur die gesamte Weltwirtschaft erschüttert. Deshalb sprechen sich viele frühere Anhänger freier Finanzmärkte heute für mehr Regulierung aus. Sie auch?

Scholes: Wenn alles ruhig ist, sind die Menschen bereit, mehr Risken einzugehen. So sind wir eben, das lässt sich nicht kontrollieren. Die Regierungen sollten nicht versuchen, Volatilität zu vermeiden, das wird nicht funktionieren. Aber wir sollten früher erkennen, wenn die Märkte nur mehr scheinbar stabil und zahm sind. Das wird in einer komplexen, globalisierten Welt zwar immer schwieriger, wir haben aber die richtigen Instrumente dazu: Demokratie und freien Zugang zu Informationen. Das müssen wir nutzen. Es ist ja nicht unsere erste Krise: der Börsencrash von 1987, die Asienkrise 1997, die Russlandkrise 1998/99, die Dotcom-Blase 2000 – wir haben uns von allen erholt.

Aber geht die aktuelle Krise nicht viel tiefer?

Scholes: Der Unterschied liegt in der längeren Dauer. Wir müssen Risiko abbauen. Aber unseren Schulden stehen Aktiva gegenüber, die in der Krise massiv an Wert verloren haben. Dadurch braucht dieser Prozess der Entschuldung ungewöhnlich viel Zeit.

Die G20 machen ernst mit einer stärkeren Regulierung der Finanzmärkte. Wohin wird das führen?

Scholes: Ich fürchte, dass daraus neue Risken entstehen. Denn wenn die Investoren den Eindruck haben, dass riskante Marktsegmente jetzt stärker reguliert und überwacht werden, wiegen sie sich in falscher Sicherheit. Dann investieren Leute in Hedgefonds, die das früher nicht getan hätten. Außerdem besteht die Gefahr, dass die Regulierung jede Innovation abwürgt. Wir brauchen aber Innovationen, sie halten unsere Finanzmärkte am Laufen.

Was schlagen Sie stattdessen vor?

Scholes: Statt zu versuchen, jede Institution der Welt zu regulieren, sollten wir ein System der Selbstregulation schaffen. Wir könnten zum Beispiel festlegen, dass im Falle systemgefährdender Schocks Bankkredite oder Anleihen automatisch in Eigenkapital des Gläubigers umgewandelt werden. Das würde die Investoren viel vorsichtiger machen.

Sie haben den Nobelpreis für das „Black-Scholes-Modell“ erhalten, ein Verfahren zur Berechnung von Optionspreisen. Es wird auch zur Bewertung von Aktienoptionen für Manager verwendet. Was halten Sie von der Kritik an dieser Entlohnungsform?

Scholes: Das Problem daran war nicht die Option oder ihr Wert, sondern, dass die Laufzeit zu kurz gewählt wurde. Kurzfristig kann man die Eigenkapitalrendite in die Höhe treiben, indem man viele Schulden macht. Langfristig rächt sich das. Also ist das Problem gelöst, wenn man die Laufzeit der Optionen mit fünf bis zehn Jahren ansetzt. Wir sollten Spitzenleistungen honorieren, nicht übertriebene Risikofreude.

1997 haben Sie den Nobelpreis erhalten, ein Jahr später hat der Zusammenbruch Ihres Hedgefonds Long Term Capital Management (LTCM) fast eine Finanzkrise ausgelöst. Haben Sie diese bittere Niederlage verwunden, oder nagen Sie immer noch daran?

Scholes (lacht): Ich bitte Sie, das ist elf Jahre her. Fragen Sie mich lieber, wie mein letzter Urlaub war, daran erinnere ich mich noch. Aber im Ernst: Ich habe mit LTCM schon seit Langem meinen Frieden geschlossen. Erstens war ich nur einer von mehreren Partnern. Und zweitens habe ich ein reines Gewissen, weil wir nicht vom Staat aufgefangen werden mussten und keinen einzigen Dollar Steuergeld gebraucht haben – anders als viele Institutionen heute. Unsere Banken haben uns gekauft, weil wir noch etwas wert waren. Sogar Warren Buffet überlegte damals einzusteigen.

Auch Ihr neuer Fonds Platinum Grove Asset Management geriet Ende letzten Jahres in Turbulenzen. Er verlor 38Prozent an Wert und musste eingefroren werden, damit die Investoren nicht ihr ganzes Geld abziehen. Wie steht er heute da?

Scholes: Wir haben die Risken liquidiert und Investoren, die aussteigen wollten, ausbezahlt. Jetzt läuft es wieder, ich bin zufrieden.

Wie lange wird die Krise noch dauern, was empfehlen Sie konservativen Anlegern?

Scholes: Ich bin zurzeit noch sehr vorsichtig. Viele Firmen müssen ihre Bilanzen noch reparieren, und das braucht Zeit. Die Wirtschaft wird sich nur langsam erholen. Konservative Anleger können ihrem Portfolio schon ein paar Aktien beimischen, aber nur in kleinem Umfang.

Sind Sie das erste Mal in Wien?

Scholes: Nein, ich war schon vor ein paar Jahren da, auf Einladung eines Private Equity Managers, eines Herrn Grasser (Karl-Heinz Grasser, früherer Finanzminister, Anm.). Was macht der jetzt?

Er ist mit einer reichen Frau verheiratet...

Scholes: Sehen Sie, das ist doch die beste Form, Risiko zu reduzieren.

Zur Person

Myron S. Scholes (67) ist ein kanadischer Ökonom. Er erhielt 1997 den Wirtschaftsnobelpreis für ein Verfahren zur Berechnung von Optionspreisen. Als Hedgefonds-Manager war er weniger erfolgreich: Die Pleite seines Fonds LTCM löste 1998 fast eine Finanzkrise aus. Zurzeit ist er auf Einladung des Hayek-Instituts in Wien.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.05.2009)

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