In Russlands Wirtschaft ist Feuer am Dach

(c) Bloomberg (Andrey Rudakov)
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Die Tatsache, dass Russlands BIP im zweiten Quartal mit 4,6 Prozent geschrumpft ist, hat offenbar auch die Elite irritiert. Die offizielle Version, die Talsohle der Rezession sei durchschritten, glauben bei Weitem nicht mehr alle.

Wien. Wenn ein notorischer Optimist wie Russlands Wirtschaftsminister, Alexej Uljukajev, sagt, die Dynamik des BIPs im zweiten Quartal „zwinge zum Nachdenken“, brennt wahrlich der Hut. Gewiss, im dritten Quartal würde es besser, meinte er am Dienstag, merkte aber an, dass die Prognose für das Gesamtjahr revidiert werden könnte.

Grund für Uljukajevs Nachdenklichkeit sind die vorläufigen Zahlen für das zweite Quartal: Am Montagabend hat das Statistikamt Rosstat bekannt gegeben, dass die Wirtschaft um 4,6 Prozent eingebrochen ist. Zwar war von den meisten eine Schrumpfung um die vier Prozent erwartet worden. Minus 4,6 Prozent hat dann aber doch überrascht. Seit dem Krisenjahr 2009, als das BIP mit 7,9 Prozent abgesackt war, hatte man keine so tiefe Rezession mehr gesehen.

Noch im ersten Quartal war das BIP nur halb so stark, mit 2,2 Prozent, geschrumpft. Damit flammt die Frage auf, ob die Talsohle durchschritten ist, wie Uljukajev im Juli behauptet hat. Ökonomen wie die der Deutschen Bank bleiben vorsichtiger und erwarten erst für Jahresende eine Erholung.

Die Quartalszahlen von Rosstat fallen wohlgemerkt in eine Zeit, in der Russland schmerzhaft daran erinnert wird, wie sehr es noch immer vom Ölpreis abhängt. Der abgesackte Ölpreis hat den Rubel auf 70 Rubel je Euro entwertet wie zuletzt im Februar. Immerhin hilft der freie Wechselkurs, die externen Schocks abzufedern.

Drei Pferdefüße

Der niedrige Ölpreis ist jedoch nicht der einzige Pferdefuß. Die Strukturprobleme, die das Wachstum seit Ende 2012 sukzessive in eine Stagnation und letztlich in die Rezession haben übergehen lassen, tun das ihre. Auf die Währungskrise folge jetzt eine Krise der Realwirtschaft mit einer Welle von Firmenpleiten und der Scheu vor dringend nötigen Investitionen, so Jewgeni Jasin, Ex-Wirtschaftsminister und nun Präsident der Moskauer Higher School of Economics, zur „Presse“.

Wenig Spielraum

Auf diesem Substrat wirken die westlichen Sanktionen und der vom Kreml als Reaktion darauf verhängte Importstopp für westliche Agrarprodukte wie ein Verstärker. Im ersten Halbjahr 2015 ist der Import laut russischem Zoll um 39,6 Prozent auf 90,42 Mrd. Dollar zurückgegangen. Zwar führen diese Handelsbeschränkungen – und die Rubel-Abwertung – tatsächlich dem Wunsch der Regierung gemäß zu einer Ankurbelung der inländischen Produktion. Der kumulative Effekt der Sanktionen jedoch werde Russland mittelfristig neun Prozent Wachstum kosten, so der Internationale Währungsfonds (IWF). Der Spielraum der Zentralbank, die Wirtschaft anzukurbeln, ist beschränkt. Am meisten zu schaffen macht ihr nämlich die Inflation, die gerade durch das Importembargo angefacht wird. Hatte die Zentralbank im Dezember 2014 den Leitzinssatz auf 17 Prozent hochschnellen lassen, um den Rubel-Verfall zu stoppen, so hat sie ihn seither zumindest auf elf Prozent gesenkt. Mehr ist derzeit zum Leidwesen der Firmen nicht drin.

Das Wirtschaftsministerium prophezeite bisher für das Gesamtjahr 2015, dass das BIP um 2,6 bis 2,8 Prozent schrumpfen werde, ehe es 2016 um 2,3 Prozent wachsen sollte. Der IWF erwartet für 2015 ein Minus von 3,4 Prozent und für 2016 ein Miniwachstum von 0,2 Prozent. Russlands Zentralbank ist pessimistischer: minus 3,5 bis vier Prozent 2015 und minus ein bis 1,6 Prozent 2016. (est)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.08.2015)

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