Fukushima: "Bitte glauben Sie an uns"

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Viereinhalb Jahre nach Erdbeben, Tsunami und Reaktorkatastrophe will die Präfektur Fukushima nach vorn blicken. Am Freitag ging in Japan wieder ein Atomkraftwerk in Betrieb.

„Diese schädlichen Gerüchte“, betont der Mann auf dem Podium, „müssen dringend aufhören.“ Oft entbehrten sie der Wahrheit, sorgten nur für schlechte Stimmung. „Ich kann Ihnen versichern“, sagt Masao Uchibori:, „unsere Produkte sind sicher. Sie sind sogar sicherer als je zuvor.“ Das offensichtliche Problem dabei erkennt auch der leidenschaftliche Redner an: „Viele Menschen und Betriebe glauben uns nur noch nicht.“

Masao Uchibori ist Gouverneur der Präfektur Fukushima und kämpft für das Image seiner Heimat. In einem Universitätshörsaal im Zentrum der japanischen Hauptstadt spricht er offen zu Diplomaten, Studenten und Medienvertretern: „Heute bin ich als Verkäufer hier.“ Das Produkt, von dessen Qualität er überzeugen will, ist die flächenmäßig drittgrößte Präfektur Japans: Fukushima.

Seit am 11. März 2011 die Erde bebte, dann mehr als 20 Meter hohe Wellen über die Küste hereinbrachen und wenige Tage später auch noch drei Kernreaktoren havarierten, kennt diese Region im Nordosten Japans die ganze Welt. „Vor 2011 kannte man Fukushima im Ausland kaum“, zitiert der Gouverneur Studie für Studie. Heute sei das natürlich anders. Auch innerhalb Japans hat sich der Bekanntheitsgrad verändert. In einer kürzlichen Umfrage der Tageszeitung „Yomiuri Shimbun“, in der es darum ging, die wichtigsten Ereignisse der Nachkriegszeit zu nennen, landete das Erdbeben von 2011 auf dem ersten Platz. Rang drei belegte die damit verbundene Nuklearkatastrophe. „Beide stehen in direkter Verbindung mit Fukushima“, sagt Masao Uchibori im Hörsaal in Tokio, „beide stärken unser Image in der Welt auch nicht gerade.“

Dabei stand Fukushima einst für etwas ganz anderes. „Seit Jahren gewinnen unsere Hersteller Preise für den besten Sake Japans.“ Außer dem traditionellen Reiswein gäben in Befragungen zudem weiterhin die meisten Japaner an, dass Fukushima eine höchst lebenswerte Region sei: bewaldet, im Frühling von Kirschblüten bedeckt, ruhig und friedlich.

Dieses Fukushima wollen die Regionalpolitiker wieder in den Vordergrund rücken. „Wussten Sie übrigens, dass wir dabei sind, Japans Pionier für erneuerbare Energien zu werden?“ Der größte Offshore-Windpark steht schon vor der Küste, großflächige Anlagen für Solarkraft wurden installiert. „Schon bald wird Fukushima viel mehr positive Eindrücke hervorrufen“, sagt Politiker Uchibori.

In den Ohren von Alistair Munro klingen die Worte „ambitioniert“. Die Übersetzung dieser typisch britischen Ausdrucks lautet wohl: kaum realistisch. Munro ist Ökonom am National Graduate Institute for Policy Studies in Tokio, wo der Vortrag Uchiboris stattfindet. Der Brite analysiert seit Jahren das Verhalten privater Haushalte und die Entwicklung der Grundstückpreise im zerstörten Gebiet. „Die Bestrebungen der Regierung machen einen sehr aufrichtigen Eindruck“, erklärt Munro, als wollte er dem Gouverneur als Allerletztes einen Vorwurf machen.

Aber die Situation sei eben schwierig. Knapp 800 Menschen aus den evakuierten Zonen Fukushimas hat Munro befragt, ob sie beabsichtigen, in ihre Heimat zurückzukehren. Das Ergebnis: Nur ein Drittel der Befragten plant eine Rückkehr. Es sind vor allem die Alten.
Aus Iwaki in Fukushima sind viele Menschen geflohen, wegen Zerstörung durch den Tsunami und aus Angst vor radioaktiver Strahlung. Katsumasa Ookawa ist Fischhändler. Seine Branche ist besonders betroffen. Der 41-jährige Familienvater meint: „Ich wollte nie weg von hier, aber wir haben vier Kinder. Wir konnten nicht mehr verantworten, dass sie weiter in Iwaki zur Schule gehen. Meine Frau und ich haben beschlossen, dass sie und die Kinder in ihre Heimat Yokohama umsiedeln und ich hierbleibe und den Fischladen weiterbetreibe.“ Mittelfristig sieht es nicht so aus, als würde die ganze Familie nach Iwaki zurückkehren: „Meine vier Kinder haben jetzt Freunde in Yokohama. Wir wissen auch nicht, wem wir in der Politik noch glauben können, wann das Leben in Iwaki für Kinder ungefährlich ist.“

Mehr als 28.000 Boote gingen 2011 verloren, 1700 kommunale Fischereianlagen und 319 Häfen wurden zerstört – rund ein Zehntel ganz Japans. Der materielle Schaden der sieben maßgeblich betroffenen Präfekturen wird auf 1,35 Billionen Yen (rund 9,24 Milliarden Euro) geschätzt. In vielen kleineren Orten gingen 85 Prozent der Arbeitsplätze verloren. „Heute verkaufen wir wieder. Aber der Preis für unseren Fisch liegt deutlich unterhalb denen aus anderen Präfekturen“, berichtet Katsumasa Ookawa.

Das weiß auch Masao Uchibori. „Hier haben wir noch viel zu tun, das alte Niveau zu erreichen“, sagt er, klingt dabei auch zuversichtlich. „Wir haben vor einiger Zeit unsere Schwellwerte für radioaktive Strahlung deutlich verschärft.“ Und es gebe jetzt eine neue Technologie, mit der jedes Produkt, ob Reis oder Fisch, auf seine Strahlungswerte geprüft werde.

Es fehlt an Vertrauen. Auch auf dem Immobilienmarkt, weiß Alistair Munro. „In den evakuierten Gebieten finden schon lang keine Transaktionen mehr statt. Viele Hausbesitzer wissen wohl, dass sie ihr Anwesen nicht loswerden.“ So könnte man behaupten, die Preise seien auf null gefallen.

Mit dem Desaster brach auch der Inlandtourismus um 50 Prozent ein. „Heute haben wir uns immerhin zu 84 Prozent davon erholt“, sagt Uchibori. „Mit Hochdruck arbeiten wir auch an der Dekontaminierung aller Gebiete.“ Im letzten Jahr setzte die Regierung von Masao Uchibori eine ihrer regelmäßigen Verkaufsoffensiven im berühmten Tokioter Warenhaus Takashimaya. Auf der Messe bot auch Katsumasa Ookawa seinen Fisch an. „Viele Leute kamen auch und kauften bei uns.“ Das Geschäft lief allerdings noch nicht so gut wie vor 2011. „Früher kauften die meisten Kunden meinen Fisch als Geschenk ein und ließen die Ware hübsch verpacken. Heute traut sich das anscheinend noch kaum jemand.“

Trotz des Misstrauens und der Angst vor radioaktiver Kontamination ging am Freitag in Japan erstmals wieder ein Atomreaktor ans Netz. Die Stromgesellschaft Kyushu Electric Power schaltete den Reaktor Nummer eins der Atomanlage Sendai auf der Insel Kyushu ein. Alle Atomanlagen in Japan waren nach der Katastrophe von Fukushima im März 2011 schrittweise abgeschaltet worden.

Dieser Tage soll auch die Evakuierungsanordnung der 7100-Einwohnerstadt Nahara in Fukushima aufgehoben werden. Politiker haben lange dafür gekämpft. Bisher haben sich zehn Prozent für die Rücksiedlung angemeldet.

Fukushima

Fukushima ist die flächenmäßig drittgrößte Präfektur Japans und liegt im nordöstlichen Teil der japanischen Hauptinsel Honshu.

Am 11. März 2011 ereignete sich in Japan das schwerste Erdbeben seit Beginn der Messungen. Dieses führte zu schweren Störfällen in den Atomkraftwerken Fukushima I und Fukushima II. In einem Radius von 20 Kilometern um das Kraftwerk wurde eine Sperrzone errichtet.

Atomstrom. Am Freitag ging erstmals seit der Katastrophe wieder ein japanisches Atomkraftwerk in Betrieb.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.08.2015)

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