Konjunktur: Schwellenländer verloren eine Billion

(c) REUTERS (CHINA DAILY)
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Der Abwärtssog in den Emerging Markets beschleunigt sich – Fondsmanager werfen aus Angst vor einer größeren Schuldenkrise als jener in der Eurozone Aktien aus den Depots.

Wien. Es ist eine teuflische Abwärtsspirale: Die Schwellenländer, bis vor Kurzem Wachstumstreiber der strauchelnden Weltwirtschaft, sind nun die großen Sorgenkinder geworden. Stecken die Emerging Markets mit China an der Spitze nur in einer vorübergehenden Schwächephase – oder bilden sie jenen Brandherd, der auf die gesamte Weltwirtschaft überzuspringen droht? Die Antworten von Ökonomen und Finanzexperten fallen je nach positiver oder pessimistischer Grundeinstellung sehr unterschiedlich aus. Aber es gibt Fakten – und die lassen keinen Zweifel daran, wie brandgefährlich die Situation ist.

Die 19 größten Volkswirtschaften der Schwellenländer haben in den vergangenen 13 Monaten Nettokapitalabflüsse im Volumen von 940,2 Mrd. Dollar – also knapp einer Billion – erlitten, berichtet die „Financial Times“. Das ist immerhin die Hälfte jener Summe, die zwischen Juni 2009 und Juni 2014 in diesen Ländern investiert worden ist.

Allein im August haben ausländische Investoren Bloomberg-Daten zufolge in Indien, Indonesien, den Philippinen, Südkorea, Thailand und Taiwan Aktien im Wert von insgesamt 2,7 Mrd. Dollar abgestoßen, nach 5,4 und 3,2 Mrd. Dollar im Juni and Juli.

Fondsmanager haben ihre Investments in Schwellenländer einer Umfrage zufolge auf ein Rekordtief gesenkt. Die Konjunkturabkühlung in China und die Gefahr einer Schuldenkrise in den wirtschaftlich aufstrebenden Staaten würden inzwischen als größeres Risiko angesehen als ein Zusammenbruch der Eurozone, ergab eine Umfrage der Bank of America Merrill Lynch unter 202 Investoren. „Die Anleger senden die klare Botschaft, dass sie sich für ein langsameres Wachstum in China und den Schwellenländern positionieren“, sagte der Chef-Anlagestratege der Bank, Michael Hartnett.

Der Cash-Exodus dürfte daher weitergehen. Dieses Geld fehlt den Ländern, es dämpft ihre Konjunktur und bringt ihre Währungen noch stärker unter Druck, als sie ohnedies schon sind. Erst am Dienstag ist die türkische Lira auf ein neues Rekordtief gefallen, der russische Rubel befindet sich seit Wochen im freien Fall. „Die Währungen sind mit dem schlimmsten aller Stürme konfrontiert“, sagt Société-Générale-Stratege Bernd Berg.

Der Kursverfall, der in China – ohne positive Wirkung – staatlich gesteuert ist, macht zwar die Exporte billiger. Weil aber die Importe (in Dollar) teurer werden, schwächt das die Inlandsnachfrage. Dazu kommt der anhaltende Verfall der Rohstoffpreise. Der trifft wiederum vor allem die Schwellenländer, die die großen Exporteure von Kupfer, Nickel, Platin und auch Erdöl sind. Wenn die Minen weniger verdienen, drohen Massenentlassungen – was ebenfalls der Konjunktur nicht förderlich ist.

Zinswende verteuert Dollar

Wenn die US-Notenbank Fed schon im September die Zinswende einläutet – wovon die Hälfte der von der Bank of America Merrill Lynch befragten Fondsmanager ausgeht –, dann dürfte sich der Dollar noch weiter verteuern. Das würde die Lage in den Schwellenländern weiter verschärfen.

Eine Billion – wie viel ist das eigentlich? Während der Finanzkrise 2008/09 mussten die Schwellenländer nur Geldabflüsse von 480 Mrd. Dollar verschmerzen, also die Hälfte der derzeitigen Summe. Und noch eine Zahl: Dank des starken Dollar fehlen beim aktuellen Wechselkurs kaum 300 Milliarden Dollar, bis die Kapitalabflüsse aus den Emerging Markets das angepeilte Volumen des Anleihenkaufprogramms der Europäischen Zentralbank erreichen, berichtete jüngst das Onlineportal Finanzen100.de. (eid/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.08.2015)

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