Konjunktur: China verschießt sein Pulver

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Die chinesische Führung stemmt sich mit allen Mitteln gegen eine drohende Wirtschaftskrise. Doch anders als bislang scheinen die Maßnahmen diesmal nicht zu greifen. Die Regierung gibt Durchhalteparolen aus.

Peking/Dalian. Derzeit steht es gar nicht gut um Chinas Wirtschaft. Die Exportzahlen sind im August um 5,5 Prozent eingebrochen. Die Industrieproduktion geht ebenfalls zurück. Erzeugerpreise fallen mit einem Minus von fast sechs Prozent gar auf den tiefsten Wert seit mehr als sechs Jahren – ein deutliches Zeichen für Überkapazitäten.

Diese Zahlen schüren Ängste. Nach den heftigen Turbulenzen an den chinesischen Aktienmärkten in den vergangenen Wochen haben sich ohnehin die Zweifel gemehrt, dass China das selbst gesteckte Ziel von sieben Prozent Wirtschaftswachstum in diesem Jahr noch erreichen wird. Dabei ist das bereits der niedrigste Wert seit mehr als 25 Jahren.

Und doch versucht Chinas Premierminister, Li Keqiang, zu beschwichtigen. In einer mehr als einstündigen Rede beim Davoser Weltwirtschaftsforum in der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian versicherte er, sein Land werde alles dafür tun, dass es zu keiner harten Landung kommt.

Drittel des globalen Wachstums

Zwar gebe es „Abwärtsrisken“, doch sollte die Abwärtsbewegung außer Kontrolle geraten, sei die Führung jederzeit in der Lage, die Wirtschaft zu stützen. „China ist keine Quelle für Risken, sondern für Chancen“, versicherte der Premier vor rund 1700 Wirtschaftsvertretern aus 90 Ländern. Weil das jährliche Treffen in China immer im September stattfindet, wird es auch als „Sommer-Davos“ bezeichnet. Bei dem Wirtschaftsforum handelt es sich um einen Ableger des „Originals“ in der Schweiz.

Den Anwesenden aus aller Welt waren diese Worte Musik in den Ohren. Die Volksrepublik ist nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und derzeit die größte Handelsnation. Nach Angaben von Helen Zhu vom weltgrößten Vermögensverwalter, Blackrock, stand China trotz der deutlichen Abschwächung im ersten Halbjahr nach wie vor für rund 30 Prozent des weltweiten Wachstums.

Sollte sich die chinesische Wirtschaft noch weiter abschwächen, wie von vielen Ökonomen befürchtet, könnte der Abschwung andere Volkswirtschaften sogar sehr viel stärker in Mitleidenschaft ziehen. Jene Länder, die in den vergangenen Jahren viele Rohstoffe an das einstige Wirtschaftswunderland lieferten, könnte es besonders hart treffen. Und auch Exportländer wie die Schweiz und Deutschland sind derzeit stark von Chinas konjunktureller Entwicklung abhängig.

Wunschdenken in Peking?

Angesichts der miesen Konjunkturdaten drängt sich der Verdacht auf, dass es sich bei den aufmunternden Worten des chinesischen Premiers um Wunschdenken oder gar Propaganda handelt. Zwar verfügt die chinesische Führung auch weiter über eine Reihe von Instrumenten, mit denen sie sehr viel mehr als andere Regierungen dieser Welt in der Lage ist, einen wirtschaftlichen Abwärtstrend umzukehren.

China hat einen großen Staatssektor, die Zentralbank ist der Regierung unterstellt, und damit hat sie auch die Kontrolle über die Landeswährung, den Yuan. Zudem ist der Staat nicht im Ausland verschuldet. Mit den zugleich größten Devisenbeständen der Welt ist Chinas Führung nicht auf Geldgeber der internationalen Kapitalmärkte angewiesen. Doch mit dem Bau von unzähligen Flughäfen, Hochgeschwindigkeitsstrecken, Autobahnen und glitzernden Wolkenkratzern im ganzen Land hat die Staatsführung in den vergangenen fünf Jahren sehr viel Pulver verschossen.

Das brachte zwar für einige Jahre die erwünschten zweistelligen Wachstumseffekte, allerdings auch hohe Schulden, vor allem bei den Provinz- und Lokalregierungen. Und auch viele Unternehmen haben es mit den Investitionen übertrieben. Die Gesamtschulden des Landes belaufen sich inzwischen auf über 290 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung.

Kein positiver Effekt

Mit finanzpolitischen Mitteln versucht die Regierung derzeit erneut, die Konjunktur zu stützen. So ließ sie im August den Yuan kräftig abwerten, was chinesische Waren im Ausland billiger macht und die Ausfuhr ankurbeln soll. Ein positiver Effekt für die chinesische Exportwirtschaft ist aber bislang ausgeblieben. Zugleich hat sich mit der Abwertung der Abfluss von Kapital massiv beschleunigt. Zahlen der Zentralbank zufolge sind die Währungsreserven des Landes allein im August um rund 95 Milliarden US-Dollar geschrumpft.

Und trotzdem teilt der ebenfalls in Dalian anwesende Gründer des Weltwirtschaftsforums, Klaus Schwab, den Optimismus des chinesischen Premiers. „Ich habe China schon viele Male vor scheinbar unüberwindbaren Aufgaben gesehen“, sagte der Wirtschaftsprofessor. Und trotzdem hätten die Verantwortlichen die Nerven behalten und an ihrer Vision eines prosperierenden China festgehalten. Schwab ist sich sicher: Auch dieses Mal werde es den Chinesen gelingen, ihre Probleme zu lösen.

AUF EINEN BLICK

China ist fast im Krisenmodus. Die Regierung stemmt sich auch beim östlichen Weltwirtschaftsforum gegen eine mögliche Wirtschaftskrise. Derzeit scheint das schlecht zu funktionieren. Aber noch ist nicht aller Tage Abend: China verfügt trotz immer schlechterer Wirtschaftsdaten weiterhin über Möglichkeiten, etwa in Form der größten Währungsreserven. Auch ist das Riesenreich im Ausland nicht verschuldet – ganz im Gegensatz zum Westen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.09.2015)

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