Piëchs späte Genugtuung: Winterkorn geht

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Eigentlich hätte am Freitag sein Vertrag als VW-Chef verlängert werden sollen. Doch Martin Winterkorn musste gehen, weil ihm niemand glauben wollte, dass er von den umfassenden Abgasmanipulationen nichts gewusst hat.

Die große Frage nach dem Rücktritt von Martin Winterkorn als VW-Chef lautet: Was wusste Ferdinand Piëch, der heuer im Frühjahr unter großem medialen Getöse von Winterkorn abgerückt war. Piëch, damals noch Aufsichtsratsvorsitzender von VW, hatte in einem Interview erklärt, er sei „auf Distanz“ zu Winterkorn. Später legte er nach: er habe kein Vertrauen mehr in den Vorstandsvorsitzenden. Wusste Piëch da vielleicht schon von den Manipulationen bei den Abgastests in den USA? Schließlich ermitteln die US-Behörden bereits sei einem Jahr wegen des Vorwurfs, eine Software würde die Abgase bei Tests schönen. Erst jetzt, nachdem sich VW nicht einsichtig gezeigt hatte, kochte die Affäre hoch und kostete Winterkorn seinen Job.

Hat der „Alte“, wie man Piëch im Konzern nannte, schon geahnt, was kommt? Hat er deshalb versucht, Winterkorn als Vorstandschef wegzubringen – was ihm nicht gelang und am Ende in seinem eigenen Rückzug aus dem Unternehmen mündete. Jetzt jedenfalls, etwa ein halbes Jahr später, hat Piëch seine späte Genugtuung.

Weitere personelle Konsequenzen erwartet

Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) rechnet nach Winterkorns Abgang mit "weiteren personellen Konsequenzen" in den nächsten Tagen. "Wir verlangen auch die Konsequenzen", so Lies, der Mitglied im VW-Aufsichtsrat ist, am Donnerstag im Bayerischen Rundfunk. "Es geht um die gesamte Struktur bei Volkswagen. Jetzt muss es darum gehen, für 600.000 Mitarbeiter, 280.000 allein in Deutschland, die Sicherheit zu schaffen, dass wir die Lage im Griff haben", sagte Lies.

Noch ist völlig unklar, wer von den Manipulationen bei VW wusste. Winterkorn sagte, er sei sich "keines Fehlverhaltens bewusst". Kenner des Unternehmens halten es jedoch für unwahrscheinlich, dass Winterkorn, der Kontrollfreak, dass der Konzern-Chef nichts über die Manipulationen wusste. Für ihn sei es glaubwürdig, dass Winterkorn von den manipulierten Abgaswerten nichts gewusst habe, sagte der niedersächsische Ministerpräsident und VW-Aufsichtsrat Stephan Weil (SPD) am Morgen nach Winterkorns Demission im ARD-Morgenmagazin. 

Der Abgang des 68-jährigen Winterkorns gestern dürfte nach ganz freiwillig erfolgt sein. Am Dienstag hatte er noch in einem Video versichert, er werde alles tun, um das Vertrauen der Menschen in VW wieder herzustellen. Mächtigere sahen die einzige Möglichkeit dafür offenbar in Winterkorns Rücktritt. Seine Erklärung, der Konzern brauche auch personell einen Neuanfang, kam am Mittwoch gegen 17 Uhr nach einer Sitzung des Präsidiums des Aufsichtsrats in Wolfsburg. Stundenlang hatte Winterkorn den fünf Mitgliedern Rede und Antwort stehen müssen.

"Keines Fehlverhaltens bewusst"

Am Ende gab man ihm die Möglichkeit, selbst seinen Rückzug zu verkünden. „Als Vorstandsvorsitzender übernehme ich die Verantwortung für die bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren und habe daher den Aufsichtsrat gebeten, mit mir eine Vereinbarung zur Beendigung meiner Funktion als Vorstandsvorsitzender des Volkswagen Konzerns zu treffen“, ließ er in einer schriftlichen Erklärung wissen. „Ich tue dies im Interesse des Unternehmens, obwohl ich mir keines Fehlverhaltens bewusst bin.“

Genau das wollte ihm seit Bekanntwerden des Skandals kaum jemand glauben. Experten meinen, er habe von den Abgasmanipulationen wissen müssen. Gerade in diesem Umfang: Es geht um elf Millionen Fahrzeuge weltweit. Um welche genau, ist immer noch nicht klar. Firmenintern lautet die Motornummer EA 189, ein Zwei-Liter-TDI, der im Jetta, Golf, Beetle, Tiguan, Passat sowie im Audi A1, A3 und in manchen Skoda-Modellen zum Einsatz gekommen ist.

Bereits im April hatte der deutsche Autohersteller Briefe an kalifornische Diesel-Fahrer geschickt. Darin wurden die Besitzer von VW- und Audi-Fahrzeugen dazu aufgefordert, ihre Autos zu den Händlern zu bringen, um eine neue Software zu bekommen. Diese solle die Emissionen optimieren. Der Konzern wollte diesen Brief nicht kommentieren.

Autoindustrie verlor 50 Mrd. Euro

Unter dem Skandal leidet die ganze deutsche Autoindustrie. In den vergangenen Tagen brachen ihre Börsenkurse massiv ein, zeitweise waren der Volkswagen-Konzern (VW, Audi, Skoda usw.), BMW und Mercedes um 50 Milliarden Euro weniger wert als noch vor Auffliegen der Affäre. Die VW-Aktie zog am Mittwoch wieder an, ihre Verluste von etwa 30 Prozent konnte sie aber nicht gutmachen.

In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ meinte ein Experte, dass der Skandal die deutsche Konjunktur schwächen könnte. Wenn VW eine Milliardenstrafe zahlen und die Autos umrüsten müsse, „kann das schon Einfluss auf die Konjunktur haben“, so Carsten Brzeski, Chefvolkswirt der ING DiBa. Weltweit hängen etwa 600.000 Jobs an dem Konzern.

Von verschiedenen Staaten wird auch untersucht, ob andere Autobauer involviert sind. Das Bauelement, mit dem die Tests manipuliert wurden, stammte nämlich von Bosch. Dieses „Förder- und Dosiermodul zur Abgasnachbehandlung“ wird auch an andere Autohersteller geliefert. Bosch erklärte gestern, man habe keine illegalen Spezifikationen eingebaut und keinerlei Mitverantwortung.

Die deutsche Regierung weiß seit mindestens einem Jahr von vielfach überhöhten Abgaswerten bei Dieselautos. Man habe Indizien, dass selbst moderne Euro-6-Diesel erheblich erhöhte reale Stickoxid-Emissionen aufwiesen, hat die Regierung an die EU-Kommission geschrieben. Berlin wertet das als „kritisch“, da man im Kampf gegen krebserregenden Feinstaub gerade auf die moderne Dieselnorm gesetzt habe. Verkehrsminister Dobrindt hat gestern erklärt, man habe von der Manipulationssoftware nichts gewusst.

In den USA drohen VW wegen des Diesel-Skandals Strafzahlungen von bis zu 18 Mrd. Dollar (16,1 Mrd. Euro). Dazu kommen die Kosten für den Umbau der elf Millionen Diesel-Fahrzeuge. Der Konzern hat rund 6,5 Mrd. Euro zur Seite gelegt und kappt seine Gewinnziele für 2015. (red./ag)

AUF EINEN BLICK

Dieselskandal. Volkswagen-Chef Martin Winterkorn tritt in der Affäre um manipulierte Abgaswerte in den USA zurück. Der 68-jährige Konzernchef erklärte am Mittwoch in Wolfsburg, er übernehme die Verantwortung für die bekanntgewordenen Unregelmäßigkeiten bei Dieselmotoren und habe daher den Aufsichtsrat gebeten, mit ihm eine Vereinbarung zur Beendigung seiner Funktion zu treffen. „Volkswagen braucht einen Neuanfang – auch personell“, erklärte Winterkorn. Mit seinem Rücktritt mache er den Weg dafür frei. „Ich bin bestürzt über das, was in den vergangenen Tagen geschehen ist. Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen Konzern möglich waren.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.09.2015)

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