Opel als Symbol für Putins Doppeltraum

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Der Premier will die russische Industrie modernisieren und gleichzeitig international expandieren. Mit dem Einstieg der Sberbank bei Opel rückt er diesem Ziel näher.

MOSKAU. Neulich in Schukowka, Russlands Reichensiedlung am Westrand Moskaus. Die Appetithäppchen mit Parmaschinken und Melone sind auf der Datscha-Party noch nicht abgeräumt, da wechselt auch schon das Gespräch von der Wirtschaftskrise in Russland zu Opel. Nach dem zweiten Glas Burgunder wirft der Gastgeber, seines Zeichens Multimillionär, ein Goethe-Zitat in die Runde. „Zwei Seelen wohnen – ach! – in meiner Brust“, rezitiert er. Und meint nicht sich, sondern Premier Wladimir Putin.

Putin sei zum einen davon besessen, die Kraft auf die Entwicklung des eigenen Landes zu lenken und es auf westliches Lebensniveau zu hieven. Zum anderen erfasse ihn ständig der imperialistische Reflex des Sowjetmenschen, seinen Einfluss auf die Welt ausdehnen zu wollen. Opel, so der Gastgeber, symbolisiere beides: „Drang nach Expansion und Modernisierung nach innen.“

Hoffen auf Wissenstransfer

Der Fall Opel ist für Putin eine Herzensangelegenheit. Endlich hat sich Russland in einen großen westlichen Konzern eingekauft. Und endlich, so hofft der Premier, gelingt der dringend nötige Wissenstransfer. Bei der staatlichen Sberbank mit von der Partie: Oligarch Oleg Deripaska. Dessen Autoproduzent GAZ bekommt zwar keine Aktien, soll aber Opel zu einem Bestseller in Russland machen, mit einer Fertigung in Werkshallen an der Wolga und dem russlandweiten Händlernetz.

Ganz so freiwillig scheinen die beiden russischen Partner nicht zu handeln. „Wir sind nur ein äußeres Pferd des Troika-Gespanns“, sagt ein Vertrauter Deripaskas, der andere Sorgen hat. Über 25 Mrd. Dollar Schulden lasten auf seinem Firmenimperium. Bei GAZ hat die Sberbank als Gläubiger das Sagen.

Auch Sberbank-Chef German Gref machte zuletzt den Eindruck, als hätte ihn Putin eingespannt. Es gehe halt um Staatsinteresse, sagte er lapidar. Erst nach Bekanntgabe der Entscheidung wirkte der 45-jährige Ex-Wirtschaftsminister wie ausgewechselt. Der Opel-Kauf biete eine „sehr gute Chance für Russland, einen der technologisch fortschrittlichsten europäischen Produzenten zu einem beispiellos niedrigen Preis zu erhalten“. Das trifft sich mit Putins Wunsch, den russischen Automobilbau zu retten: „Die Regierung hat ihre Strategie zur Entwicklung der einheimischen Autoindustrie“, sagte er: Der Deal mit Opel „sollte sich in diese Strategie einfügen“.

Doch für Putin geht es nicht nur darum, die eigene Autoindustrie zu stärken. Es geht auch um internationales Auftreten. „Wir kommen nicht mit Kalaschnikows und Panzern, sondern mit Geld“, warb Putin 2006 für die Friedfertigkeit seines Expansionsdrangs.

Erste Gehversuche wirkten ungelenk. So kaufte der russische Staat fünf Prozent am europäischen Raumfahrtkonzern EADS – ohne nennenswerten Einfluss. Deripaska musste sich von seinen Anteilen an Strabag und Magna wieder trennen, als ihn die Schuldenwelle überrollte. Der Einstieg der Transmash-Holding bei der deutschen Fahrzeugtechnik Dessau endete in der Pleite. Und Stahlmilliardär Alexej Mordaschow überlegte bereits, seine riesigen Zukäufe in Nordamerika wegen der Krise wieder abzustoßen.

Synonym für den russischen Expansionsdrang ist der Erdgasmonopolist. „Mit Gazprom kann man in Europa Kinder erschrecken“, schrieb das russische Wirtschaftsblatt „Wedomosti“. In Österreich und Deutschland hat es Gazprom immerhin zum Endkundengeschäft geschafft. Großzügigere Pläne wurden aber abgeschmettert.

Aufsichtsrat hat nichts zu reden

„Im Unterschied zu einem möglichen Investment von Gazprom droht beim jetzigen Opel-Einstieg der Sberbank keine Monopolisierung“, erklärt Sergei Guriev das Ausbleiben des antirussischen Reflexes beim Opel-Kauf. Als Aufsichtsrat der Sberbank hätte der Rektor der Moskauer „New Economic School“ eigentlich über das Engagement bei Opel befinden müssen. Doch nicht der Kontrollor, sondern Putin zog die Fäden. Ob der Opel-Kauf ein Abenteuer oder ein kalkulierbares Risiko sei, fragte „Die Presse“ Guriev. „Ich kenne bis heute die Bedingungen nicht, kann also kein Urteil abgeben“, sagte er. Auch die finanziellen Details seien ihm unbekannt.

„Putins Bestreben, auf dem westlichen Markt mitzuspielen, ist ungebrochen“, sagt Alexei Makarkin vom Zentrum für politische Technologien in Moskau: „Aber es geht um eine ökonomische Expansion, wie sie andere Länder auch betreiben.“ Etwa die arabischen Staatsfonds. Während sich die Scheichs jedoch robuste Unternehmen aussuchen, überwiegt bei den russischen Investoren der Hang zum Heilen schwerer Fälle.

Der liberale Ökonom Guriev begründet dies mit einer klammen Kassenlage nach dem Absturz des Ölpreises. „Russland hat weniger Geld und kann es sich nicht leisten, ,gute‘ Firmen zuzukaufen.“ Aber sanieren könnten sie: „Wir haben in Russland viel Erfahrung mit betrieblicher Umgestaltung.“

Diese tut im Autosektor not. GAZ hofft auf technologischen Anschluss und verheißt Opel einen Verkaufssprung auf 500.000 Fahrzeuge pro Jahr. In den ersten vier Monaten waren es 15.506 Wagen.

Putin wollte offenbar ein Zeichen setzen, dass Russland noch handlungsfähig sei, sagt ein westlicher Wirtschaftsvertreter in Moskau. „Wedomosti“ sekundiert: „Unsere Unternehmer und Politiker klagen doch schon lange, dass man im Westen nichts kaufen kann. Und nun kaufen wir auf einmal einen legendären Betrieb.“

AUF EINEN BLICK

Staatsräson steht nach Ansicht vieler Experten hinter der russischen Beteiligung an der Opel-Rettung. Premier Wladimir Putin wolle damit einen doppelten Traum erfüllen: die Modernisierung des Landes mit Know-how aus dem Westen und Einflussnahme im Westen selbst. Letztere sei wiederholt gescheitert. „Und nun kaufen wir auf einmal einen legendären Betrieb“, schrieb das Wirtschaftsblatt „Wedomosti“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.06.2009)

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