Osteuropa vergeht die Lust auf den Euro

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Themenbild(c) (Erwin Wodicka Bilderbox)
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Die Eurozone ist mitten in der schlimmsten Krise auf 19 Mitgliedsländer angewachsen. Aber jetzt ist erst einmal Schluss: Polen, Ungarn und Tschechien sind mit ihren Währungen gut gefahren – und denken nicht an einen Eurobeitritt.

Wien. Der US-amerikanische Ökonom Milton Friedman hat es schon immer gewusst: Der Euro wird nicht funktionieren, argumentierte er schon 1997. „Nur eine Untergruppe der EU – also Deutschland, Österreich und die Benelux-Staaten – erfüllt die notwendigen Voraussetzungen für eine Währungsunion“, schrieb Friedman damals.

Sein Hauptargument: Die politische Union müsse vor der wirtschaftlichen kommen. Der Euro drohe aber, die Staaten Europas gegeneinander aufzuhetzen statt sie zu vereinen. 18 Jahre später sind Friedmans Argumente noch immer stichhaltig. Viele weniger bekannte Ökonomen haben sie aufgenommen und kritisieren weiterhin, dass der Euro nicht funktionieren könne, da es keine Fiskalunion, keine Eurobonds und kein EU-Finanzministerium gebe.

Einzig: Er funktioniert doch, der Euro. Davon können sich mehr als 300 Millionen Europäer bei jedem Einkauf überzeugen. Und trotzdem sind Friedmans Argumente nicht vollkommen von der Hand zu weisen. Denn im Zuge der Finanzkrise hat sich tatsächlich eine Spaltung Europas ergeben, die eigentlich überwunden schien: eine Spaltung zwischen Ost und West.

Das Potenzial ist ausgereizt

Zwar ist der Euro in den vergangenen Jahren gewachsen – 19 Staaten sind inzwischen Mitglieder der Währungsunion. „Aber alle neuen Mitglieder haben ihre Währung schon lang zuvor an den Euro gebunden“, sagt Magdalena Polan, Ökonomin und Osteuropaexpertin bei der US-Investmentbank Goldman Sachs. „Für diese Staaten hat sich die Lage mit dem Beitritt enorm verbessert, weil sie jetzt wenigstens mitreden können.“

Das Erweiterungspotenzial sei aber inzwischen ausgereizt – gerade, was die großen Länder in Mittel- und Osteuropa betrifft: Polen, Tschechien und Ungarn. Diese Länder interessieren sich derzeit kaum für den Euro, so Polan: „In Polen brauchte man für einen Eurobeitritt einen Verfassungsbeschluss. Und dafür fehlt die notwendige Zweidrittelmehrheit. Das wird auch nach der Wahl im kommenden Jahr so bleiben. Tschechien wäre aufgrund seiner Wirtschaftsdaten wahrscheinlich am ehesten geeignet, der Eurozone beizutreten. Aber nirgends ist der politische Wille dazu kleiner als in Prag. Und Ungarn hat unter Premier Orbán unmissverständlich klargestellt, dass ein weiterer Verlust der staatlichen Souveränität nicht infrage kommt.“

Wird also Friedmans Prophezeiung Realität? Spaltet der Euro Europa, auch wenn er Frankreich und Deutschland vereint? Tatsächlich spricht viel für Friedmans These, dass die flexiblen Wechselkurse einer Währungsunion vorzuziehen seien, da sie die Verdauung von Schocks vereinfachen.

„Die Volkswirtschaften der CEE-Länder laufen sehr gut“, sagt Polan. „Die Banken haben Kredite abgebaut, die Staaten den Sparstift angesetzt. Viele Probleme wurden behoben. Jetzt ist die Verschuldung aller Sektoren in diesen Ländern relativ gering – und das Wachstumspotenzial ist höher als in Westeuropa.“ Dabei habe die Möglichkeit, seine Geldpolitik souverän zu gestalten, eine entscheidende Rolle gespielt. „Die flexiblen Wechselkurse und die Souveränität in der Geldpolitik haben sich in der Krise als wertvoll erwiesen.“ Durch Abwertungen konnte die Konkurrenzfähigkeit gewahrt bleiben. Gleichzeitig waren die Länder auf sich allein gestellt – und deshalb nicht in der Lage, den Druck ohne Reformen abzufedern.

Abstand zu China als Vorteil

„Ohne die Hilfe der EZB haben Polen und Co. härter arbeiten müssen, um ihre Wirtschaft zu reparieren. Portugal und Griechenland hatten mehr Zeit“, sagt Polan im Gespräch mit der „Presse“.

Allerdings beobachte man in ganz Europa inzwischen wieder einen positiven Trend in der Wirtschaft – nicht nur im Osten, sondern auch im krisengeplagten Westen. Der Osten hat aber zusätzlich den Vorteil, keine allzu starken Verbindungen zum schwächelnden China zu unterhalten.

Die Daten geben dem Kurs von Polen, Ungarn und Tschechien recht. Goldman erwartet in Polen heuer ein Wachstum von 3,6 Prozent, in Ungarn 2,8 und in Tschechien sogar 3,9 Prozent – Zahlen, von denen Westeuropa nur träumen kann. Aber die Eurozone ist in der Krise auch nicht zerbrochen – und wenn der Osten wirtschaftlich aufgeholt hat, könnte auch ein Beitritt wieder interessant werden. Noch ist also nicht sicher, ob Milton Friedman tatsächlich recht behält.

ZUR PERSON

Magdalena Polan ist Senior Economist für die Region Osteuropa und Naher Osten bei der Investmentbank Goldman Sachs. Sie wohnt und arbeiten in London. Der Analyse von Polan und ihren Kollegen bei Goldman zufolge steht Osteuropa heute solide da, braucht aber den Euro derzeit nicht. [ Fabry]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2015)

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