Südkorea – Asiens innovativer Tiger

TOPSHOTS-SKOREA-HEALTH-MERS
TOPSHOTS-SKOREA-HEALTH-MERSED JONES / AFP / picturedesk.com
  • Drucken

Wer sich für Zukunftstrends interessiert, fliegt nach Südkorea. Das Land ist bei vielen neuen Technologien Vorreiter. Doch es gibt auch Schattenseiten.

In keiner anderen Stadt der Welt gibt es so viele Starbucks-Filialen wie in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul. Um unnötige Wartezeiten zu vermeiden, bestellen und bezahlen die meisten Südkoreaner ihren Caffè Latte oder Caramel Frappuccino im Voraus über eine Handy-App. In der Filiale erhalten sie gleich den gewünschten Caffè.

Starbucks hat diese Dienstleistung namens „Siren Service“ als weltweit erstes Land in Südkorea eingeführt. Wer sich für Zukunftstrends interessiert, muss nach Südkorea fliegen. Im Ranking der innovativsten Länder, das von der Finanzagentur Bloomberg erstellt wird, liegt Südkorea heuer auf Platz eins. Bewertet wurden unter anderem die Forscherdichte, die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sowie die Anzahl der Patente.

Im Sommer titelte die „New York Times“: „Was Silicon Valley von Seoul lernen kann.“ In dem Bericht heißt es, dass Südkorea den Vereinigten Staaten um viele Jahre voraus sei. Dies hängt mit der Technikbegeisterung der Südkoreaner zusammen. Fast 90 Prozent der Bevölkerung nutzen ein Smartphone. Auch bei schnellen Internet-Anschlüssen sind die Südkoreaner Weltmeister.

Im Vorjahr schloss die EU mit dem asiatischen Tigerstaat einen Vertrag, um bei der Entwicklung von Mobilfunknetzen der nächsten Generation (5G) zusammenzuarbeiten. Als erstes Land der Welt wollen die Südkoreaner den neuen 5G-Standard bei den Olympischen Winterspielen 2018 in Pyeongchang vorstellen. Bei 5G geht es um eine 100-mal schnellere Internet-Geschwindigkeit als die gegenwärtigen Netze. Ein Kinofilm soll innerhalb weniger Sekunden heruntergeladen werden können.

Auch der deutsche Axel-Springer-Verlag mit den Tageszeitungen „Bild“ und „Welt“ blickt nach Seoul. Mit dem Elektronikriesen Samsung entwickelt der Verlag die Nachrichten-App Upday, welche die Medienszene revolutionieren soll. Dabei werden Nachrichteninhalte von Algorithmen automatisch auf die Interessen des Nutzers zugeschnitten. Der Start in mehreren europäischen Märkten soll im Frühjahr 2016 erfolgen.


Koreas mächtige Dynastien. Bislang hing der Erfolg der südkoreanischen Wirtschaft mit den sogenannten Chaebols zusammen. Dabei handelt es sich um mächtige Wirtschaftskonglomerate wie Samsung, Hyundai Motors und LG, die eng mit dem Staat verflochten sind. Dank der Chaebols hat sich Südkorea seit den 1960er-Jahren von einem Entwicklungsland zu einer modernen Industrienation entwickelt. Doch das Erfolgsmodell gerate „immer mehr unter Druck“, sagt der in Seoul ansässige österreichische Handelsdelegierte Franz Schröder. Denn die Abhängigkeit von wenigen Großkonzerne macht Südkorea verwundbar. So sind die fünf führenden Unternehmen für 65 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes verantwortlich. Sie zahlen auch einen großen Teil der Steuern. Falls es einmal einem Chaebol schlecht geht, leidet das ganze Land.

Hinzu kommt die starke Exportlastigkeit der koreanischen Wirtschaft. Vor allem die Exporte nach China sind zuletzt deutlich zurückgegangen. Die Schwäche der chinesischen Wirtschaft wirkt sich unmittelbar auf Südkorea aus.

Am Donnerstag musste die Zentralbank in Seoul ihre Wachstumsprognose erneut nach unten revidieren. Für heuer wird ein Wirtschaftswachstum von 2,7 Prozent und für nächstes Jahr ein Plus von 3,2 Prozent erwartet. Die 2013 gewählte Präsidentin Park Geun-hye hat daher eine Veränderung des Wirtschaftsmodells eingeleitet. Ihr Ziel es, das Land unabhängiger von den Chaebols zu machen.

Dazu soll sich die Anzahl der kleinen und mittleren Unternehmen deutlich erhöhen. So beschloss die Regierung unter anderem ein 40-Milliarden-US-Dollar-Paket zur Belebung der südkoreanischen Wirtschaft. Der Schwerpunkt liegt dabei auf der Förderung der „creative economy“ (kreativen Wirtschaft).

In keinem anderen Land der Welt bekommen Start-ups derzeit mehr Geld vom Staat als in Südkorea. Im schicken Seouler Stadtviertel Gangnam, das durch den Song „Gangnam Style“ des Musikers Psy weltbekannt wurde, haben sich hunderte Jungunternehmer niedergelassen. Auch Google eröffnete dort im Frühjahr den ersten Campus in Asien.


Computerspiele als Wirtschaftsmotor. Zu den Wachstumsmotoren der Kreativwirtschaft gehören nicht nur Internet-Unternehmen, sondern auch die Computerspiel-Industrie. Längst erwirtschaftet diese Umsätze in Milliardenhöhe. Zum Massenphänomen haben sich E-Sports entwickelt – dabei handelt es sich um sportliche Wettkämpfe zwischen Menschen mit Hilfe von Computerspielen. Eigene Fernsehsender beschäftigen sich rund um die Uhr mit Computerspielen und Turnieren. E-Sport-Stars sind so populär wie Fußballspieler. In Südkorea wurden bereits 200.000 Arbeitsplätze geschaffen, die mit E-Sports in Verbindung stehen.

Marktführer am koreanischen Spielmarkt ist Nexon. Der Konzern hat sich im vergangenen Jahr am Wiener Spielhersteller Socialspiel beteiligt. Nexon hilft den Wienern bei der weltweiten Vermarktung ihrer Produkte. Um bei neuen Technologien weiterhin in der Weltliga mitspielen zu können, präsentierte die Regierung in Seoul eine Liste mit Branchen, die künftig verstärkt gefördert werden sollen. Dazu gehören fahrerlose Autos, Gesundheitsroboter, unbemannte Flugzeuge (wie Drohnen) und intelligente Kleidung. Auch setzt Korea zahlreiche Maßnahmen, um ausländische Investoren ins Land zu locken. Es gibt Steuererleichterungen, Steuerbefreiungen, finanzielle Zuwendungen und andere Anreize.

Höchste Suizidrate. Der schnelle Aufstieg des Landes hat allerdings seine Schattenseiten. Zwar schneiden die südkoreanischen Schüler bei den PISA-Tests besonders gut ab. Doch dafür stehen Drill und eiserne Disziplin an der Tagesordnung. Dieser Drill ging sogar den Politikern zu weit. Die Regierung verabschiedete notgedrungen ein Gesetz, wonach in den Nachhilfeschulen nach zehn Uhr am Abend nicht mehr unterrichtet werden darf.

Von allen OECD-Ländern hat der asiatische Tigerstaat die höchste Suizidrate. Südkorea gehört auch zu jenen Staaten mit den längsten Arbeitszeiten. Durchschnittlich arbeitet jeder Erwerbstätige in Südkorea pro Jahr 2124 Stunden (in Österreich sind es 1629 Stunden). Im Zuge einer Arbeitsreform soll nun die Arbeitszeit bis zum Jahr 2020 auf 1800 Stunden reduziert werden.

Zahlen

Wachstum. Die Zentralbank in Seoul musste aufgrund der direkten Auswirkungen der chinesischen Wirtschaftsschwäche auf das Exportland die Wachstumsprognose Südkoreas auf 2,7 Prozent 2015 senken. Für das kommende Jahr wird ein Plus von 3,2 Prozent erwartet.

Arbeitszeit. Südkoreaner arbeiten im Schnitt 2124 Stunden pro Jahr, Österreichs Erwerbstätige liegen mit durchschnittlich 1629 Stunden pro Jahr deutlich darunter.

Hinweis

Die Kosten für die Reise wurden von Kotra/Südkorea übernommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.