Russland: Investoren kehren zurück

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RUSSIA ECONOMY DUTCH FLOWERS(c) APA/EPA/MAXIM SHIPENKOV (MAXIM SHIPENKOV)
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Auf Russlands Kapitalmarkt ereignet sich schier Wundersames. Die Hoffnung, es gehe jetzt bergauf, ist aber trügerisch.

Wien. Während sich in Moskau derzeit die Entscheidungsträger einmal mehr über die Frage streiten, ob der Tiefpunkt der vierprozentigen Rezession denn nun erreicht oder gar überwunden sei, kündet zuletzt zumindest auf dem Kapitalmarkt eine Handvoll Schwalben davon, dass beizeiten doch wieder Aussicht auf einen wirtschaftlichen Sommer besteht. Vor wenigen Tagen hat der weltweit größte Hersteller von Nickel und Palladium, Norilsk Nickel, eine siebenjährige internationale Anleihe über eine Milliarde Dollar mit einer Rendite von 6,6 Prozent platziert. Gleich darauf ist auch der Gaskonzern Gazprom nach fast einem Jahr Pause auf den Kapitalmarkt zurückgekehrt und hat mit einer dreijährigen Euro-Anleihe zu 4,6 Prozent 900 Millionen Euro eingesammelt.

Die Summen sind nicht umwerfend, bedenkt man, dass der Emissionswert von Dollaranleihen russischer Firmen vor der Ukraine-Krise laut Bloomberg zumindest 40 Mrd. Dollar pro Jahr betragen hat. Aber das erste Eis bei westlichen Investoren ist gebrochen.

Hoffen auf Lockerung der Sanktionen

Rein wirtschaftlich muss das nicht verwundern. Weder Norilsk Nickel noch Gazprom ist den EU-Sanktionen unterworfen. Sie stöhnen zwar unter dem Preisverfall bei Rohstoffen, aber sie profitieren vom Verfall des Rubels, weil sie ihre Ausgaben großteils in Rubel bestreiten. Bis zum Jahresende könnten noch weitere Platzierungen folgen, so die Sberbank CIB. Man habe auf diese Platzierungen als Signal seitens westlicher Investoren gewartet, erklärt Jelena Titova, Chefin von UBS Russia.

In die Erleichterung mischt sich nun gar Hoffnung, der Westen könnte die Sanktionen für Russland doch zumindest mittelfristig lockern, so Analysten: Die Anzeichen würden sich mehren. In der Tat haben sich zuletzt die Aussagen vor allem deutscher Politiker in diese Richtung gehäuft. Der EU-Konsens über eine Sanktionsverlängerung sei deutlich schwächer als noch vor 15 bis 16 Monaten, erklärt Gerhard Mangott, Russland-Experte der Universität Innsbruck, auf Anfrage.

Zweifelhaftes Signal

Sanktionen hin oder her. In Russland selbst sorgte zuletzt noch eine andere Nachricht aus der Welt des Kapitals für Aufsehen. Nach vorläufigen Zahlen der Zentralbank nämlich ist im dritten Quartal dieses Jahres zum ersten Mal seit fünf Jahren mehr Kapital ins Land zu- als abgeflossen. Konkret habe der Nettokapitalzufluss 5,3 Mrd. Dollar betragen.

Noch 2014 hatte die Kapitalflucht das Rekordniveau von 153 Mrd. Dollar erreicht. Nun haben russische Unternehmen begonnen, ihre ausländischen Vermögenswerte zu verringern, weil sie das Geld zu Hause einfach dringender brauchen. Außerdem hätten sie befürchtet, die Sanktionen würden bis zu den Offshore-Konten ausgedehnt, und seien auf Nummer sicher gegangen, so Experten. So positiv das Wort Kapitalzufluss klingt, so zweifelhaft ist es im Fall Russlands freilich auch. Zwar wäre es ein Fortschritt, wenn Unternehmer mit mehr Vertrauen Geld ins Land schaffen. Aber als großer Rohstoffexporteur hat Russland gewöhnlich einen hohen Leistungsbilanzüberschuss, der schon per se mit einem Kapitalabfluss einhergeht. Weil nun aufgrund der fallenden Rohstoffpreise weniger aus dem Export lukriert und wegen des gefallenen Rubels weniger Waren importiert werden, sinkt die Leistungsbilanz und somit auch der Kapitalabfluss. Dieser ist somit kein Zeichen einer ökonomischen Entspannung. Und auch an anderen Fronten ist derzeit nichts von einer Aufhellung der Stimmung in Russland bzw. in den Wirtschaftsbeziehungen mit dem Westen zu erkennen.

Beiderseitiger Rückzug

Im Gegenteil: Gleich drei russische Rohstoffkonzerne bereiten ein Delisting von der Londoner Börse vor, schrieb Bloomberg soeben.

Und auch westliche Firmen sind am Überlegen, ob sie angesichts einer bevorstehenden, jahrelangen Stagnation ihr Russland-Engagement auf Eis legen sollten. Manche – wie die Deutsche Bank - haben das Russland-Geschäft schon zurückgefahren oder – wie der Autobauer GM – aufgegeben. Eine Studie unter knapp 50 westlichen Konzerne führte die internationale Consultinggruppe Global Counsel kürzlich zur Einschätzung, dass in den kommenden eineinhalb Jahren einige große Konzerne Russland verlassen werden.

Ein Blick auf die ausländischen Direktinvestitionen spricht ohnehin Bände. Seit Mitte 2014 sind sie praktisch zum Erliegen gekommen. Haben sie 2013 laut Zentralbank noch 69,2 Mrd. Dollar betragen, so 2014 20,9 Mrd. Dollar und im ersten Halbjahr 2015 gerade einmal 2,8 Mrd. Dollar. Die russlanderfahrenen Investoren seien sich wie vor zehn Jahren voll und ganz der politischen Probleme, Korruption und mangelnden Rechtssicherheit bewusst, schreibt die Zeitung „Wedomosti“: Im Unterschied zu damals aber würde der Zustand der Wirtschaft heute diese Mängel nicht mehr aufwiegen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 21.10.2015)

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