Air Berlin: Kampf gegen den finanziellen Absturz

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Auch wenn die Behörden der Niki-Mutter Air Berlin die Code-Share-Flüge mit Etihad genehmigen, ist die Airline existenziell bedroht. Sie braucht einen zusätzlichen Financier.

Als der Luftfahrt-Haudegen Stefan Pichler im Februar die Führung der Air Berlin übernahm, hieß es, er starte in das Jahr der Entscheidung für die zweitgrößte deutsche Fluglinie. Jetzt, nach acht Monaten, in denen noch höhere Verluste eingeflogen wurden und das dringend notwendige Restrukturierungsprogramm noch immer auf sich warten lässt, steht die Mutter der österreichischen Fluglinie Niki auf der Kippe.

Wenn sich die Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland nicht in letzter Minute vor Inkrafttreten des Winterflugplans am Sonntag auf ein neues Luftverkehrsabkommen einigen, droht der schwer angeschlagenen Air Berlin, die zu 30 Prozent der Golf-Airline Etihad gehört, mehr als nur der Umsatzausfall von rund 140 Mio. Euro. Es geht ums Ganze.

Die Fluglinie mit 8000 Mitarbeitern könnte „vom Markt verschwinden“, malten die Betriebsräte in einem dramatischen Appell an die deutsche Bundesregierung das Schreckensszenario an die Wand. Der Wegfall der Einnahmen aus den sogenannten Code-Share-Flügen mit Etihad sei „existenzbedrohend“, schrieben sie an Verkehrsminister Alexander Dobrindt.

Konkret geht es um 65 dieser Gemeinschaftsflüge, die Air Berlin im Winter mit Etihad anbieten will. 29 davon zweifelt das Verkehrsministerium an, darunter die Hauptrouten von Berlin und Stuttgart nach Abu Dhabi, weil sie durch das geltende Luftverkehrsabkommen nicht gedeckt sind. Die Emirate hätten sich bisher einer tragfähigen Lösung verweigert, hieß es aus dem Ressort von Dobrindt.

Großer Umsatzbringer weg

Code-Share-Verbindungen ermöglichen es Airlines, zusätzliche Passagiere von den Partnern zu rekrutieren und so eine bessere Auslastung und zusätzliche Umsätze zu lukrieren. Der Air Berlin ginge durch das Verbot nicht nur ein zentraler Bestandteil der Zusammenarbeit mit der aggressiv wachsenden arabischen Airline verloren, sondern auch mitten in der Sanierung ein großer Umsatzbringer.

Im Vorjahr hat Dobrindt die Code-Share-Flüge nach einem langen Tauziehen in letzter Sekunde genehmigt. Er machte damals aber klar, dass dies die Ausnahme bleiben soll. Auch diesmal könnte es noch ein Einlenken geben. Zumal sich nun auch Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel eingeschaltet hat. Ihm liegt daran, dass es in Deutschland eine zweite Airline neben der Lufthansa gibt und die Arbeitsplätze erhalten bleiben.

Auch wenn es zu einer Einigung kommt – die Schwierigkeiten von Air Berlin sind damit nicht gelöst – sie hat nur ein Problem weniger. Faktum ist, dass Pichler die Quadratur des Kreises finden muss: Die Fluglinie, die wegen des allzu rasanten Expansionskurses ihres Gründers Joachim Hunold einen hohen Schuldenberg mitschleppt, hat auch operativ zu kämpfen. Eingezwängt zwischen der mächtigen Lufthansa und den Billigairlines Ryanair und Easy Jet will Air Berlin beide Märkte bedienen – das kostet Kraft und Geld. Zumal auf den heiß umkämpften Europastrecken kaum Geld zu verdienen ist. Zudem ist die Wirtschafts- und Finanzkrise nicht spurlos an den Berlinern vorbeigegangen.

Hohes negatives Eigenkapital

In den letzten sieben Jahren hat Air Berlin nur einmal – durch Sondereffekte von Etihad – Gewinn geschrieben. Im ersten Halbjahr lag das Minus bei 247,6 Mio. Euro, allein seit 2011 summieren sich die Verluste auf mehr als eine Mrd. Euro. Was noch schwerer wiegt: Das Eigenkapital ist mit 575,3 Mio. Euro negativ.

Ohne Etihad wäre Air Berlin also schon längst am Boden, nur sie garantiert – zumindest bis jetzt – jene positive Zukunftsperspektive, die die europäischen Luftfahrtbehörden ein Auge zudrücken lässt. Denn eine europäische Fluglinie muss zumindest acht Prozent Eigenkapital aufweisen, um die Flugberechtigung zu erhalten.

Bleibt also die Frage, wie lang die Scheichs vom Golf, die sich mit Air Berlin den Zugang zu den europäischen Zubringerrouten erkauft haben, noch Geduld haben und gewillt sind, weiteres Geld einzuschießen. Bisher flossen schon rund 800 Mio. Euro. Direkt kann Etihad ohnedies nicht mehr aushelfen – Air Berlin würde die Flugrechte verlieren, sollte die nicht europäische Etihad die Mehrheit haben. De facto hat sie das schon, was die Lufthansa wiederholt angeprangert hat. Deshalb wurde jüngst auch ein Sonderkonstrukt gewählt, um die im November fällige Anleihe über 200 Mio. Euro zu refinanzieren.

Der Ausweg wäre also ein zusätzlicher, neuer Investor. Pichler soll sich bereits auf die Suche gemacht haben. Bisher vergebens – aber wer sollte in Zeiten, in denen die Airlines ohnedies durch die schwache Konjunktur und die Krisen im Nahen Osten und in Russland bedrängt sind, bei einer maroden Fluglinie einsteigen?

Kein Wunder, dass die Mannschaft in Berlin und Wien total verunsichert ist. In der zweiten Novemberwoche, so hieß es, will Pichler endlich den Sanierungsplan präsentieren. Der kann nur drastisch ausfallen, soll er wirken. Wenn es nicht schon zu spät ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.10.2015)

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