Langenfeld: Eine Stadt spart sich schuldenfrei

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
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Ein sturer Bürgermeister machte Langenfeld zur ersten deutschen Stadt, die sich durch Sparen von allen Schulden befreite. Langenfeld ist somit die erste größere deutsche Stadt, die sich aus eigener Kraft entschuldet hat. Nebenwirkungen: nur gute.

Langenfeld, so scheint es, ist überall: So typisch deutsch wirkt die mitteldeutsche „Mittelstadt“ mit 60.000 Einwohnern, eingekeilt zwischen drei Autobahnen am Rande des Ruhrpotts. Wenig romantische Ecken, viel trostlose Wirtschaftswunder-Architektur. Da haben sich die wenigen Besucher zuletzt umso mehr über ein kurioses Fotomotiv gefreut: die Entschuldungsuhr.

Der umtriebige Bürgermeister Magnus Staehler hat sich dazu von der Schuldenuhr des Bundes der Steuerzahler in Berlin inspirieren lassen. Doch während bei diesem Mahnmal der Staatsverschuldung die Zahl bedrohlich in die Höhe schnellt – zuletzt auf unvorstellbare 1,5 Billionen Euro – wurde sie in Langenfeld immer kleiner.

Ende der Achtzigerjahre hatte der Schuldenberg mit 38 Mio. Euro seinen Gipfel erreicht. Der Stadtrat beschloss einen Schuldenstopp. 1994 wurde der junge „Verwaltungswirt“ Staehler Bürgermeister – und stellte sich eine viel ehrgeizigere Aufgabe: Er wollte auch alle alten Schulden auf Mark und Pfennig zurückzahlen.

Im Herbst 2008 hatte er sein Ziel erreicht: Die Verschuldungsuhr stand auf null. Seine Langenfelder feierten rheinländisch ausgelassen, das Wahrzeichen wurde abmontiert. Nun hat die Stadt zwar ihre einzige Sehenswürdigkeit verloren, aber dafür sind die Steuern so niedrig und die Lebensqualität so hoch wie kaum wo sonst.

Langenfeld ist die erste größere deutsche Stadt, die sich aus eigener Kraft entschuldet hat. Zwar rühmen sich auch die Großstädte Dresden und Düsseldorf einer kreditlosen Bilanz, aber dort war sie nur durch den Verkauf des Tafelsilbers möglich: Leistungen wie Müllabfuhr oder Gebäudeverwaltung wurden privatisiert. Davon hält der Christdemokrat Staehler aber – erstaunlich genug – herzlich wenig.

Das Mantra „Mehr privat, weniger Staat“ stimme eben nicht immer. Seine Rechnung ist einfach: „Wir verrechnen keine Umsatzsteuer und dürfen keine Gewinne machen. In Summe sind das 30 Prozent Aufschlag, die ein privater Anbieter mehr kalkulieren muss. Und mir kann doch keiner einreden, dass meine Leute um 30 Prozent unproduktiver arbeiten.“


Beton und Butter. Zumindest dann nicht, wenn der Bürgermeister seine 600 Mitarbeiter so leistungsorientiert führt wie ein Unternehmer. Das ist der Impetus des 50-Jährigen: Er hat „aus Amtsschimmeln Rennpferde“ gemacht, obwohl sie anfangs ein Beharrungsvermögen zeigten, „dass mir im Vergleich dazu Beton wie Butter vorkam“. So wirken auch seine Rezepte wie aus dem Handbuch eines Rationalisierers: Da wurden vier Hierarchieebenen auf zwei reduziert, entscheiden durften plötzlich die Sachbearbeiter und bekamen dafür mehr Gehalt. Das motivierte sie enorm, etwa im Meldeamt, wo sie von sich aus vorschlugen, auch am Samstag zu arbeiten.

Kleine Revolutionen, großes Kopfschütteln in anderen Städten. Und was sagt die Gewerkschaft dazu? „Wenn man die Mitarbeiter auf seiner Seite hat, geht viel mehr, als man glaubt“, versichert Staehler. So gelang es ihm auch, die Zahl der Hausmeister an Schulen und Kindergärten zu halbieren. Statt fix installierter Verwalter, die für jede Reparatur Handwerker bestellten, sind sie nun eine mobile Eingreiftruppe, die gleich alles selbst erledigt.

„Das klingt heute so einfach, aber es war knochenharte Widerstandspolitik. Der Spaßfaktor hielt sich in Grenzen“, erinnert sich Staehler. Zu Beginn seiner Amtszeit musste er erst einmal die Steuern erhöhen und Zuschüsse für Schützen- und Sportvereine kürzen. Dass er im Sattel blieb, schaffte er nur durch geduldige Überzeugungsarbeit: „Wir mussten die Glaubwürdigkeit inszenieren, dass wir die Leute dieses Mal nicht betrügen.“ Von Anfang an war das Programm auf 15 Jahre angelegt, weit über den nächsten Wahltermin hinaus.

Wenn Staehler Leistungen auslagert, dann gleich an die Bürger. Aufsehen erregte er, als er vor drei Jahren 1000 Besen verteilte und erklärte, die Leute sollten vor ihrer eigenen Türe kehren. „Ich konnte die dauernden Beschwerden nicht mehr hören: Fegt meinen Dreck, ich zahle ja Gebühren. Aber oft sind Straßen zugeparkt, oder wir kommen nicht in jede Ecke.“ Also überließ er die Seitenstraßen der privaten Putzwut. Die Gebühren fielen weg, fast alle waren zufrieden.


Vereine als Kraftzellen. Andere Leistungen wurden auf Ehrenamtliche und über 200 Vereine übertragen: „Vereine sind nichts Spießiges. Das sind Kraftzellen der Gesellschaft, NGO auf Gemeindeebene.“ Die Stadtsäckel wirklich füllen aber können nur Unternehmen mit ihrer Gewerbesteuer. Staehler wirbt aktiv um sie: „Viele werden wie der letzte Dreck behandelt, wenn sie sich wo ansiedeln wollen. Wir zeigen Respekt vor ihren Ideen und ihrem Mut.“

Während sich in anderen Städten eine ansiedlungswillige Firma bis zu einem halben Jahr durch den Ämterdschungel kämpfen muss, organisiert in Langenfeld das Rathaus einen runden Tisch, sechs Wochen später sind alle Genehmigungen fertig. Die Folge: Jede Woche klopft ein neuer Betrieb an, 5000 Arbeitsplätze wurden geschaffen.

Statt wie andere Städte auf Großbetriebe oder einzelne Branchen zu setzen, bemühte sich Langenfeld um einen breiten Mix. Das hilft in der Krise wie ein risikogestreutes Portfolio. Während sieben von zehn Städten im Landkreis vor der Pleite stehen, denkt in Langenfeld niemand an krisenbedingte neue Schulden. Die Saat ging auf. Bei den letzten Wahlen erzielte Staehler 70 Prozent. In der Folge hat er seinen Erfolg vermarktet. Er schrieb ein Buch („1-2-3 Schuldenfrei“, Linde Verlag) und hält Seminare vor Kollegen. Das mag unbescheiden wirken, dient aber der Stadt, weil so wieder Firmen auf sie aufmerksam werden. Zur nächsten Wahl im Herbst tritt Staehler nicht mehr an: „Was soll ich noch erreichen? Meine Aufgabe ist erfüllt, ich werde Projektmanager bei einem Konzern.“

Und die Schuldenuhr? Sie wurde der Stadt Grevenbroich geschenkt. Deren Bürgermeister ist ein Fan des Langenfelder Modells. Doch ach: Sein Stadtrat zwang ihn, das Menetekel wieder abzuhängen. Man wollte nicht ständig an die missliche Finanzlage der Stadt erinnert werden. Langenfeld ist eben doch nicht überall. Im Gegenteil: Es ist fast nirgends.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.06.2009)

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