In Deutschland könnten nach dem Rückruf manipulierter Fahrzeuge bestimmte Folgekosten an den Besitzern hängen bleiben, warnt ein Rechtsgutachten.
Wolfsburg. Die rund 2,4 Millionen Besitzer der von den Abgasmanipulationen betroffenen VW-Fahrzeuge in Deutschland könnten laut einem Rechtsgutachten auf den Folgekosten des Rückrufs sitzen bleiben. Volkswagen wäre dem Gutachten zufolge nach aktueller Rechtslage nicht verpflichtet, sämtliche Folgekosten zu tragen, teilte der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) am Montag in Berlin mit.
So könnten etwa Kosten für ein Ersatzfahrzeug während der Reparatur oder Mängel infolge der Umrüstung – wie ein geringerer Wiederverkaufswert – an den Autobesitzern hängen bleiben. Neben den Kostenrisiken für die deutschen VW-Besitzer ist es laut dem Gutachten auch problematisch, dass Gewährleistungsansprüche gegenüber dem Autohändler bereits nach zwei Jahren verjähren. Diese Frist ist bei vielen der betroffenen Fahrzeuge bereits abgelaufen.
Für weiterreichende Schadenersatzansprüche müssten Verbraucher den Nachweis erbringen, dass Volkswagen gegen Schutzgesetze verstoßen hat – zum Beispiel gegen den Betrugstatbestand oder durch vorsätzliche und sittenwidrige Täuschung. Einen Verstoß gegen Schutzgesetze nachzuweisen, gelingt Verbrauchern in der Regel nicht – schon deshalb, weil sie keinen Einblick in interne Vorgänge des Unternehmens haben.
Appell an „Kulanz“ von VW
Klaus Müller, der Chef des VZBV, fordert nun das dem Verkehrsministerium unterstehende Kraftfahrt-Bundesamt auf anzuordnen, dass VW auch Folgekosten wie Ersatzwagen, Verdienstausfall oder Wertminderung übernimmt. Möglich wäre das laut dem Rechtsgutachten insofern, als es von der konkreten Ausgestaltung der Rückrufsanordnung abhängt, ob und inwieweit das Unternehmen Folgekosten tragen muss. Zudem wollen die Verbraucherschützer, dass das Bundesamt die Ergebnisse seiner Untersuchungen öffentlich macht, damit Konsumenten sich bei Rechtsstreitigkeiten darauf beziehen können. Vom Autokonzern verlangt Müller „maximale Kulanz“.
Der VZBV forderte zudem erneut, das Gewährleistungsrecht auf den Prüfstand zu stellen. Er plädierte dabei insbesondere für eine Ausweitung der Herstellerhaftung. Erforderlich sei, eine sogenannte Musterfeststellungsklage mit allgemeiner verjährungsunterbrechender Wirkung einzuführen. Mit einer solchen Gruppenklage könnten Verbraucher Rechte durchsetzen und eine Verjährung von Ansprüchen verhindern.
Volkswagen hatte Anfang Oktober eingeräumt, Abgaswerte von Dieselfahrzeugen durch eine Software manipuliert zu haben. Bei Tests auf dem Prüfstand führte das Programm zu einem niedrigeren Schadstoffausstoß als im Normalbetrieb. Weltweit wurde die Software in bis zu elf Millionen Autos eingebaut, in Deutschland sind 2,4 Millionen Autos betroffen, in Österreich 363.000.
Hierzulande strebt der Verein für Konsumenteninformation (VKI) einen Generalvergleich mit Volkswagen an und wählt dafür den Umweg in die Niederlande. Dort gibt es, im Gegensatz zu Österreich, ein effizientes rechtliches Instrument, ein Massenverfahren abzuwickeln. (APA/AFP/cka)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.11.2015)