Stickoxide, CO2: VW geht in Abgasen unter

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Der Skandal beim Autokonzern Volkswagen nimmt täglich größere Ausmaße an. Nun wurden Probleme bei CO2-Werten festgestellt. Die Aufklärung wird den Hersteller noch lang beschäftigen.

Berlin/Wolfsburg. Wer hoch steigt, der fällt auch tief. Es ist ein abgedroschenes und viel bemühtes Sprichwort. Doch deswegen ist es nicht weniger wahr. Der deutsche Autokonzern Volkswagen eilte einst von Rekord zu Rekord. Mehr Gewinne, größere Investitionen und so viel verkaufte Autos wie noch nie. Es waren Jubelmeldungen, die Journalisten praktisch Jahr für Jahr zu hören bekamen. Doch damit ist es nun vorbei. In Wolfsburg ist 2015 Feuer am Dach.

Das Unternehmen hat nämlich mit dem größten Skandal seiner Geschichte zu kämpfen. Die Probleme sind zwar hausgemacht – doch deren Tragweite deswegen nicht zwingend absehbar. Niemand weiß, wie viele Mitarbeiter in die Affäre verwickelt sind. Niemand weiß, welche Mängel noch ans Tageslicht kommen. Niemand weiß, welche Kosten VW entstehen. Und so überrascht es kaum, dass nahezu täglich neue Hiobsbotschaften verkündet werden.

Die jüngste: Der Konzern hat nicht nur Abgaswerte manipuliert, sondern räumte Dienstagabend auch „CO2-Probleme“ ein. 800.000 Fahrzeuge sollen von den nun bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten betroffen sein. Darunter sind nicht nur Autos mit Dieselmotoren (etwa VW Golf, Passat und Škoda Octavia), sondern ebenso 98.000 benzinbetriebene Fahrzeuge. Die Mehrkosten werden von dem Unternehmen auf zwei Milliarden Euro taxiert. Konkret wurden diesmal bei der CO2-Zertifizierung einiger Fahrzeugmodelle zu niedrige CO2- und damit auch Verbrauchsangaben festgelegt, wie es heißt. Die Autos wurden also nicht richtig eingestuft.

Heimische Autobesitzer müssen sich deswegen aber nur bedingt Sorgen machen. Denn allfällige Steuernachzahlungen aus der Normverbrauchsabgabe (die sich nach den CO2-Emissionen und dem Fahrzeugwert richtet), treffen nicht den Fahrzeuginhaber, sondern den Händler. Bei ihm liege die Abgabenlast, erklärte das Finanzministerium am Mittwoch. In Österreich sind die Händler großteils im Besitz des VW-Konzerns. Sie könnten sich das Geld theoretisch von ihrer Mutter zurückholen.

Anders in Deutschland. Dort herrscht die Befürchtung, dass VW allfällige Mehrkosten auf seine ohnehin erschütterten Kunden abwälzen könnte. Eine Sprecherin des deutschen Finanzministeriums sagte, dass es noch zu früh sei, mögliche Auswirkungen auf die Kfz-Steuer abzuschätzen. Deren Bemessungsgrundlage ist seit dem Jahr 2009 der CO2-Ausstoß der Motoren. Verkehrsminister Alexander Dobrindt forderte das Unternehmen bereits auf, den Schaden durch die Abgasmanipulationen und -unregelmäßigkeiten ohne Belastungen der Kunden zu lösen. Der Politiker verlangt, dass bei VW „alles umgedreht und angeschaut wird“. Regierungssprecher Steffen Seibert sieht das Unternehmen ebenfalls in der Pflicht, die Vorgänge „transparent und umfassend“ aufzuklären.

Skandal kam im September ans Licht

Bisweilen macht es allerdings den Eindruck, als habe VW damit seine liebe Not. Denn noch bevor die Welt von den falschen CO2-Werten wusste, erreichten das Unternehmen Meldungen, wonach auch Drei-Liter-Dieselmotoren (die in größere Autos eingebaut wurden) von dem Manipulationsskandal betroffen sein sollen. Es geht um ein Programm namens AECD (Auxiliary Emission Control Device), das eigentlich eine legale Zusatzeinrichtung zur Emissionskontrolle darstellt. Einmal im Jahr sind die Hersteller verpflichtet, Informationen darüber offenzulegen. Dies geschah offenbar nur unzureichend. Volkswagen dementierte Manipulationen.

Erstmals tauchte bei den Ermittlungen auch der Name der Luxustochter Porsche auf, die innerhalb des Zwölf-Marken-Imperiums als Ertagsperle gilt. Ausgerechnet VWs neuer Konzernvorstand, Matthias Müller, stand fünf Jahre lang an der Spitze des Sportwagenherstellers.

Ins Rollen kam die Affäre namens Dieselgate im September. Als Aufdecker fungiert die US-Umweltbehörde EPA. Sie warf Volkswagen den gezielten Einbau einer Software zur Manipulation von Abgaswerten vor. Diese könne eine offizielle Messung erkennen, das Fahrzeug reduziert daraufhin seinen Schadstoffausstoß. Elf Millionen Autos (mit kleineren Motoren) sind weltweit davon betroffen.

Die finanziellen Belastungen für das Unternehmen sind nicht wirklich absehbar. Vorerst wurden 6,7 Milliarden Euro in der Bilanz dafür zurückgestellt. Experten zweifeln allerdings, dass diese Summe ausreichen wird. Allein in den USA drohen Schadenersatzklagen im Ausmaß von 18 Milliarden Dollar. Im dritten Quartal rutschte der Konzern bereits in die Verlustzone. Und auch an der Börse macht VW keine gute Figur mehr. Die Vorzugsaktien sackten allein am Mittwoch um mehr als acht Prozent ab. Auch tags zuvor ging es an den Märkten deutlich nach unten (siehe Seite 20).

Schon die ersten Monate des laufenden Jahres zählten für VW nicht gerade zu den erfreulichsten. Magere Renditen, ein maues US-Geschäft und ein Machtkampf an der Konzernspitze sorgten für gehörige Unruhe. In Anbetracht dessen, was Volkswagen jetzt aushalten muss, eigentlich ein Klacks.

Der Abgasskandal bei VW im Überblick

3. September: Volkswagen räumt hinter den Kulissen gegenüber der US-Umweltbehörde EPA Manipulationen bei Abgastests von Dieselfahrzeugen ein. Doch erst am 22. September gibt der Konzern eine Gewinnwarnung heraus und kündigt Rückstellungen an.

23. September: Rücktritt von VW-Chef Martin Winterkorn. „Vor allem bin ich fassungslos, dass Verfehlungen dieser Tragweite im Volkswagen-Konzern möglich waren“, erklärt er. Zwei Tage später beruft der Aufsichtsrat Porsche-Chef Matthias Müller zum Konzernchef.

28. September: Nach mehreren Strafanzeigen startet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugsvorwürfen.

7. Oktober: Krisentreffen der Aufseher, VW-Finanzchef Hans Dieter Pötsch wird an die Spitze des Kontrollgremiums gewählt.

8. Oktober: Razzia bei VW. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig ordnet Durchsuchungen in Wolfsburg und an anderen Orten an. VW-US-Chef Michael Horn muss dem US-Kongress Rede und Antwort stehen.

15. Oktober: Das Kraftfahrt-Bundesamt ordnet einen verpflichtenden Rückruf aller VW-Dieselautos mit der Betrugssoftware an. In ganz Europa müssen 8,5 Millionen, in Österreich 363.000 Wagen in die Werkstatt. VW hat eine freiwillige Lösung angestrebt.

21. Oktober: VW stoppt in der EU den Verkauf von Neuwagen im Lagerbestand, die noch ältere Motoren mit der Betrugssoftware haben. Müller betont, noch gebe es keine direkten Folgen für die Jobs.

28. Oktober: Der Skandal beschert dem Konzern im dritten Quartal einen Milliardenverlust. Vor Zinsen und Steuern beläuft sich das Minus auf rund 3,5 Mrd. Euro.

2. November: Die EPA beschuldigt VW, bei weiteren Dieselmotoren eine Manipulationssoftware eingesetzt zu haben. Volkswagen weist dies zurück. VW muss jedoch einräumen, dass es auch Unregelmäßigkeiten beim Kohlendioxidausstoß (CO2) gibt. Rund 800.000 Fahrzeuge könnten betroffen sein. Wegen Vorwürfen gegen den 3.0-Liter-Dieselmotor stoppen Audi und Porsche den Verkauf betroffener Modelle in den USA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.11.2015)

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