Der Skandal um manipulierte Abgaswerte nimmt eine weitere, für VW unerfreuliche Wende: Der Konzern muss allein in Deutschland 540.000 Fahrzeuge umbauen. In Österreich sind etwa 120.000 Autos betroffen.
Wolfsburg/Wien. US-Amerikaner sind ungeduldige Menschen. Wenn es ein Problem gibt, dann muss es möglichst schnell gelöst werden, und wenn jemand etwas falsch gemacht hat, dann soll er seinen Fehler möglichst schnell wiedergutmachen. Volkswagen hat dementsprechend reagiert und verschickt derzeit Einkaufsgutscheine an jene VW-Fahrer in den USA und Kanada, die vom Skandal um manipulierte Dieselabgase betroffen sind. Als eine erste Wiedergutmachung erhält jeder 1250 Dollar. 500 Dollar können überall eingelöst werden, die weiteren 750 Dollar bei Volkswagen-Händlern.
Diese Entschädigung gelte „ausschließlich für die USA und Kanada“, sagte ein VW-Sprecher am Montag in Wolfsburg. Für Deutschland forderte die Verbraucherzentrale ein ähnliches System, VW erklärte aber, dass man „maßgeschneiderte Lösungen für jeden Markt“ anbieten werde – und für Österreich, Deutschland und die Schweiz sind solche Gutscheine offenbar nicht geschneidert.
Hier tat sich gestern ein weiteres Problem auf. Was immer vermutet wurde, ist jetzt auch offiziell: Mit einer Änderung der Software allein wird der Abgasskandal nicht zu lösen sein. Das sei bei den Zwei-Liter-Motoren möglich, bei anderen Modellen (etwa beim 1,6-Liter-Dieselmotor) müssen auch „Änderungen an der Hardware vorgenommen werden“, wie das deutsche Verkehrsministerium gestern mitteilte. Kurz: Es wird bauliche Veränderungen entweder am Motor oder am Katalysator geben.
In Deutschland ist ein solcher, teurer Eingriff bei etwa 540.000 der insgesamt 2,4 Millionen betroffenen Autos notwendig. In Österreich muss etwa ein Drittel der 363.000 Dieselfahrzeuge – also ungefähr 120.000 – umgebaut werden. Wie viele es weltweit sind, ist unklar. Grob gerechnet könnte man nach den Zahlen in Deutschland und Österreich 22 bis 30 Prozent annehmen. Das wären 2,4 bis 3,3 Millionen Autos.
Krisensitzung des Aufsichtsrats
Am Firmensitz in Wolfsburg gab es am Montag wieder Krisensitzungen. Am Vormittag kam das sechsköpfige Präsidium des Aufsichtsrates zu einer Sitzung zusammen, anschließend der gesamte Aufsichtsrat. Es ging unter anderem um die jüngst von Betriebsratschef Bernd Osterloh geäußerte Kritik am Konzernvorstand. Osterloh bemängelte in einem Brief, dass „ein schlüssiges Gesamtkonzept zur Bewältigung der Affäre“ fehle.
Der Betriebsratschef kommt freilich seinerseits unter Beschuss. Der deutsche Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer sieht eine Mitverantwortung Osterlohs am Skandal. Er sei seit vielen Jahren Betriebsratschef und sitze auch im Präsidium des Aufsichtsrats – er sei „der mächtigste Mann im VW-Konzern“, sagte Dudenhöffer einer Zeitung gegenüber. „Es ist unvorstellbar, dass Osterloh nichts davon gewusst hat, dass die Mitarbeiter über Jahre in einem System der Angst und der chronischen Überforderung gearbeitet haben.“
Im Konzern muss VW einen weiteren Abgang verkraften: Chefdesigner Walter de Silva trat von allen Ämtern zurück. Der 64-jährige Italiener verantwortete seit 2007 die Formgebung aller Pkw-Marken des Konzerns und hat die Modellentwicklung maßgeblich beeinflusst. Dass er in den Dieselskandal verwickelt ist und deshalb geht, gilt als unwahrscheinlich. (ag./red.)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.11.2015)