Schulfach Wirtschaft? Neoliberale Attacke!

(c) Clemens Fabry
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Rot-Grün führt in Baden-Württemberg Wirtschaft als Pflichtgegenstand ein. Der Aufschrei folgt auf den Fuß.

In einer Bilanz kommt links und rechts das Gleiche raus. Und zwar immer. Dieses wundersame Phänomen können sich die meisten Deutschen nicht wirklich erklären. Die Diagnose ist also unbestritten: Die Bürger wissen zu wenig über Wirtschaft. Ob es um die private Schuldenfalle geht, um große ökonomische Zusammenhänge oder darum, wie man eine kleine Firma gründet: Die Lücken summieren sich zum riesigen Loch.

Die rot-grüne Regierung in Baden-Württemberg schafft nun beherzt Abhilfe und führt Wirtschaft als Pflichtfach ein, in allen Gymnasien und Realschulen. Drei bis fünf Stunden pro Woche für die 13- bis 16-Jährigen. Einfach nur Wirtschaft. Also nicht als ungeliebtes, stiefmütterlich behandeltes Anhängsel von Geografie oder Gemeinschaftskunde. Die trauen sich was, die rot-grünen Schwaben! Das Murren war sogleich zu hören. Jetzt, da der Lehrplan publik wird, schwillt es zum Aufschrei an. Denn die Materialien sind hoch explosiv: Die Wirtschaft wird darin, man fasst es kaum, nicht als grundlegend böse dargestellt. Ein unerhörter Tabubruch.

„Das ganze Land rätselt, wie es zu diesem Fach gekommen ist“, stöhnt ein Bildungsexperte der Gewerkschaft. Ein Funktionär klagt konkreter: Die Rolle von Betriebsräten werde zwar genannt, sie erhalten aber nicht den gleichen Stellenwert wie die Unternehmensseite! Wo bleibt da der Proporz der Sozialpartner? Die Furcht geht um, dass aus den schwäbischen Schulen „künftig lauter kleine Neoliberale herauskommen“, also „funktionierende und unkritische“ Arbeitnehmer. Ein Professor für Didaktik der Politischen Bildung empört sich über den „Kniefall vor den Arbeitgebern“, der dem „Neoliberalismus eine Renaissance“ verschaffe. Eine Petition von Eltern und Lehrer prangert die „vorrangige ökonomische Perspektive“ an. Ganz schlimm: Mitbetrieben und betreut hat das Projekt die gemeinnützige Holtzbrinck-Stiftung. Und jetzt kommt's: Die wurde einst von einem Verleger gegründet – von einem leibhaftigen Unternehmer!

„Eine Lobby bekommt ihr Schulfach“, ereifert sich darob ein Spiegel-Online-Journalist. Die Akteure der Wirtschaft sollten sich also lieber ruhig verhalten. Tun sie aber nicht, weil sie sich ehrlich freuen. Auch darüber: Die neuen Wirtschaftslehrer dürfen über Praktika auch einmal ein Unternehmen von innen sehen. Bosch und viele andere wollen ihnen den roten Teppich ausrollen. Wir sehen schon die Schlagzeilen: Gehirnwäsche und Indoktrination! Die sollen sich hüten!

karl.gaulhofer@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.11.2015)

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