US-Schuldenfalle: Die Wildwestmethoden der Banken

(c) AP (Seth Perlman)
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Wie der US-amerikanische Wirtschaftsjournalist Edmund Andrews in die Schuldenfalle stürzte. Die Banken haben sich bei der Vergabe von Hypotheken höchst dubioser Praktiken bedient.

Washington.Edmund Andrews hätte es eigentlich besser wissen müssen. Als Wirtschaftsjournalist der „New York Times“ hatte er über die Finanzkrise in Asien, das Platzen der Dotcom-Blase und die Notenbankchefs Alan Greenspan und Ben Bernanke geschrieben. Frühzeitig hatte er vor dem überhitzten Immobilienmarkt in den USA gewarnt. Doch 2004 erlag er selbst der süßen Versuchung des uramerikanischen Traums – des Traums nach einem Eigenheim im Grünen, vor den Toren der Stadt.

Ein stattlicher Backsteinbau in Silver Spring, einer Vorstadt Washingtons in Maryland, war dem damals 48-Jährigen und seiner Verlobten Patty ins Auge gefallen. Hier wollten sie von vorn beginnen. Obwohl ihm nach Abzug der Alimente für seine Exfrau und die Kinder aus erster Ehe nur 2777 Dollar im Monat zum Leben blieben und seine zukünftige Frau auf Jobsuche war, erhielt das Paar für 460.000 Dollar den Zuschlag. „Zu jedem anderen Zeitpunkt wäre das verrückt gewesen“, schildert Andrews in seinem Buch „Bankrott. Das Leben im Hypotheken-Crash“ den Höhepunkt des Immo-Hypes.

„Da, um Träume zu ermöglichen“

Nicht so zu Beginn des neuen Jahrtausends, nicht im Land der angeblich unbegrenzten Möglichkeiten. Ein Immobilienmakler vermittelte Andrews den Kontakt zur Firma „American Home Mortgage Corporation“ und zu Bob, dem Finanzberater, den er ihm wärmstens ans Herz legte. „Er ist hilfsbereit. Er hat sich auf unübliche Situationen spezialisiert.“ Die Firma war innerhalb kürzester Zeit zu einer der führenden Hypothekenleihgeber des Landes aufgestiegen. Bob enttäuschte den Klienten nicht: „Ich bin da, um Träume zu ermöglichen. Auf der Basis Ihres Einkommens sind Sie für eine Hypothek von einer halben Million Dollar gut. Die Alimente erwähnen wir gegenüber der Bank nicht. Und es gibt auch keinen Bedarf, die Kontoauszüge vorzulegen.“ Edmund Andrews war perplex vor so viel Chuzpe: „Selbst wenn ich sieben Jahre arbeitslos gewesen wäre und keinen Cent gehabt hätte, hätte er meinen Verstand nicht infrage gestellt. American Home hat praktisch darum gebettelt, dass ich das Geld nehme.“

Mit galliger Ironie beschreibt Andrews die Praktiken der Banken und Hypothekenfirmen, die ihn und hunderttausende Amerikaner unter Vorspiegelung einer „Anything-goes“-Mentalität in die Schuldenspirale geschleudert haben. Sein Fall steht exemplarisch für alle Helen Browns und Michelle Jones, die sich den Wunsch nach einem eigenen Heim erfüllen wollten, denen die Hypotheken dann aber über den Kopf gewachsen sind. Vielfach ohne ausreichende Sparguthaben oder Einkommen galten sie nach gängigen Usancen als nicht kreditwürdig. Die Banken haben mit ominösen Subprime-Krediten, deren Tilgungsraten nach einer gewissen Frist um mindestens drei Prozent in die Höhe schnellten, jedoch regelrecht um sich geworfen. Auslöser für eine Finanzkrise, die die ganze Welt in ihren Sog gerissen hat. Wie sich jetzt herausstellt, haben sie gezielt Kundenfang betrieben. Ob sie sich krimineller Methoden bedient haben, werden die Gerichte entscheiden. Mehrere Verfahren sind anhängig. Dubios und anrüchig war die Verfahrensweise allemal.

Wells Fargo, einst als Postkutschenfirma gegründet, gab „Kopfprämien“ für neue Kunden aus– Wildwestmethoden im Dollarrausch des Immobilienbooms. Vor allem „mud people“, wie Bankmanager die schwarze Arbeiterklasse intern verächtlich bezeichneten, sollten mit „Ghetto-Krediten“ geködert werden. Sie heuerten schwarze Mitarbeiter an, warben in Kirchen und buhlten um Pastoren als Meinungsbildner.

In Großstädten wie Baltimore oder Cleveland traf die Krise die afroamerikanische Bevölkerung überproportional. Die Andrews verkörpern dagegen die gehobene weiße Mittelschicht. Zunächst zahlten sie 2500 Dollar im Monat zurück. Später sollte sich die Rate des Subprime-Kredits auf 3700 Dollar steigern. Nach ein paar Monaten der Illusion und in der Hoffnung auf eine künftige Wertsteigerung des Hauses erwachte Edmund Andrews aus dem Traum. Der Bankomat spuckte gerade noch ein Plus von 196 Dollar aus.

„Wir waren bankrott. Wir hatten nicht mehr genug Geld für Benzin und zum Einkaufen. Wir hantelten uns von Gehaltsscheck zu Gehaltsscheck.“ Der Journalist ließ sich seine Aktien, eine eiserne Reserve für die Pension, auszahlen, seine Mutter pumpte ihm 15.000 Dollar, Andrews strich die täglichen sieben Dollar für den Lunch.

Panikattacken in der Nacht

In der Nacht quälten ihn Panikattacken, die Kreditkartenschulden schnürten ihm die Kehle zu. Für jede noch so geringe Überziehung fiel eine Strafgebühr von 100 Dollar an. Bald summierten sich die Kreditkartenschulden mit Zinsen bis zu 27 Prozent auf 50.000 Dollar, und zu allem Überdruss verlor Patty ihren Job bei einer Wohltätigkeitsstiftung. Die Rechnungen für Strom, Telefon, Kabel-TV und Internet wurden zur erdrückenden Last und die Mahnanrufe zur morgendlichen Routine, außertourliche Ausgaben wie Zahnarztkosten für Pattys Sohn Ben brachten die Familie an den Rand des Ruins.

Das Schwerste haben die Andrews inzwischen überstanden. Eine Zwangsversteigerung ist ihnen bisher erspart geblieben. Für den Journalisten war das Buch Therapie und Einkommensmöglichkeit zugleich. „American Home“ ist kollabiert, eine zweite Hypothekenfirma haben die Aufsichtsbehörden aus dem Verkehr gezogen, und die Hausbank JP Morgan Chase hatte bisher schlicht keine Zeit für ein Umschuldungsprogramm für die Andrews. Sie hat zu viele Andrews unter ihren Klienten. Für Edmund ist dies freilich ein zweifelhaftes Glück: „Acht Monate nach meiner letzten Zahlung warte ich darauf, dass die Axt fällt.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.06.2009)

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