Europa als Profiteur eines Konflikts

(C) Kocina
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Der Wirtschaftskrieg ist für beide, für Russland und die Türkei, ein großes Risiko. Auch für Europa bleibt der Konflikt nicht frei von Folgen. Sie müssen nicht negativ sein.

Wien. Würden russische Wirtschaftstreibende frei äußern dürfen, was sie denken, sie würden allmählich laut heulen. Ölpreis und Rubel im Keller, die Wirtschaft ohne Motor, die Sanktionen des Westens vor der Verlängerung – und nun neben dem Wirtschaftskrieg mit der Ukraine auch noch einen mit dem wichtigen Handelspartner, der Türkei. Dabei würde Russland schon ohne diese Zusatzbelastungen an einer wirtschaftlichen Strukturkrise laborieren. Aber Kreml-Chef Wladimir Putin ist aus Zorn über den Abschuss des russischen Kampfflugzeugs durch die Türken nicht mehr zu bremsen. Wer glaube, dass sich die Maßnahmen gegen die Türkei auf Handelssanktionen beschränkten, irre sich, sagte er am Donnerstag in seiner Rede an die Nation.

Fix ist, dass ab 1. Januar türkische Firmen bei Auftragsvergaben in Russland benachteiligt werden. Charterflüge ins Land am Bosporus werden untersagt. Gewisse Gemüse- und Obstsorten dürfen nicht mehr eingeführt werden. Da aber etwa ein Fünftel des importierten Obstes und Gemüses aus der Türkei stammt, dürfte die 2015 aufgrund der westlichen Sanktionen ohnehin auf etwa 15 Prozent nach oben geschnellte Inflation weiter ansteigen.

Ohnehin ist noch nicht auszumachen, welches der beiden Konfliktländer den größeren wirtschaftlichen Schaden davontragen wird. Denn in Russland macht man sich keine Illusionen darüber, dass die Türkei auch an Gegensanktionen denkt. Die russische Autoindustrie, die auf den Import billiger türkischer Komponenten angewiesen ist, gibt sich besorgt. Noch nervöser sind laut Medienberichten die russischen Getreidebauern, weil mehrere Händler sich nun mit neuen Lieferverträgen in die Türkei zurückhalten, um am Ende nicht auf dem Getreide sitzen zu bleiben.

Türkei trifft Russland beim Erdgas

Für beide Länder steht viel auf dem Spiel. Zwar ist das Handels- und Dienstleistungsvolumen im laufenden Jahr aufgrund der gesunkenen Rohstoffpreise und der Rubel-Abwertung zurückgegangen. Aber zuvor hat der Austausch von Waren und Dienstleistungen im Jahr 2014 das Niveau von 44 Mrd. Dollar (40,4 Mrd. Euro) erreicht gehabt, wobei die Russen mit den Türken deutlich mehr verdienen als umgekehrt. Umso empfindlicher ist es für den Tourismusstaat am Bosporus, dass der Kreml seinen Landsleuten geraten hat, von Reisen in die Türkei abzusehen.

Aber auch die Türkei hat bereits begonnen, Russland an einer besonders empfindlichen Stelle zu treffen: beim Erdgas. Schließlich ist die Türkei hinter Deutschland zweitgrößter Kunde von Gazprom und hat im Vorjahr 27,3 Mrd. Kubikmeter (das Dreifache des österreichischen Jahresverbrauchs) dort zugekauft.

Zwar wird sich kurzfristig daran kaum etwas ändern. Aber die Türkei beginnt vorzusorgen und sich nach anderen Lieferanten umzusehen. Am 2. Dezember unterzeichneten türkische Staatsvertreter eine Absichtserklärung mit dem Gas-Dorado Katar über die Lieferung von Flüssiggas (LNG). Und einen Tag später hat sich der türkische Premierminister, Ahmet Davutoğlu, mit Aserbaidschan geeinigt, die für 2018 anvisierte Inbetriebnahme der Transanatolischen Gaspipeline (Tanap) aus Baku vorzuverlegen. Über sie wird die Türkei bekanntlich sechs Mrd. Kubikmeter Gas erhalten. Die restlichen zehn Mrd. Kubikmeter werden weiter über den Südbalkan und die Adria nach Italien fließen. Somit könnte auch Europa schon früher Zugang zu jenem kaspischen Gas erhalten, um das es sich seit einem Jahrzehnt bemüht.

Es ist nicht die einzige Nebenwirkung des russisch-türkischen Konflikts für Europa. Die andere betrifft die russische-europäische Pipelinestruktur. Am Donnerstag nämlich hat Energieminister Alexandr Nowak erklärt, dass Russland die Gespräche zum Bau der Turkish-Stream genannten Gaspipeline zur zusätzlichen Versorgung der Türkei abgebrochen hat. Damit ist auch vom Tisch, dass die EU beizeiten über den türkischen Transit mit russischem Gas versorgt werden könnte.

Dabei war die Idee für diese Pipeline erst zu Beginn des Jahres überhaupt geboren worden. Vom Fleck kam sie nicht. Und überhaupt hielt sich die Vermutung, dass Gazprom Turkish-Stream nur als Druckmittel einsetzen wolle, um Europa für den Ausbau der Ostseepipeline Nord-Stream, also Nord-Stream II, zu gewinnen. Schon im Sommer sagten dann mehrere europäische Energiekonzerne – darunter die OMV - zu, sich an Nord-Stream II zu beteiligen, und lösten damit Unmut in Brüssel aus, weil die EU mehr Unabhängigkeit von russischem Gas erzielen möchte.

Mit der Absage an Turkish-Stream ist Nord-Stream II nun aber nur noch wahrscheinlicher geworden. Vor allem für den Gazprom-Konzern, der seinen Transit durch die Ukraine verringern will, gibt es nun gar keine Alternative mehr dazu. Auffällig, dass Putin in seiner Rede an die Nation keine Attacken gegen Europa ritt. Und dass im Publikum der Auserwählten Gazprom-Chef Alexej Miller saß.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.12.2015)

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