Argentinien: Schöne Bescherung

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151210 BUENOS AIRES Dec 10 2015 Argentina s new President Mauricio Macri L waves with himago/Xinhua
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Argentiniens Präsident, Mauricio Macri, bekam von seiner Vorgängerin Cristina Kirchner einen Gabentisch voller Giftpackerln. Alle sind vom Umtausch ausgeschlossen.

Weiße Weihnachten – für die Argentinier ist das ganz normal, dämmert doch die Heilige Nacht zwischen Formosa und Feuerland genau drei Tage nach dem offiziellen Beginn des südlichen Sommers. Für die meisten Argentinier beginnen nach dem traditionell reichhaltigen Festschmaus die Sommerferien. Doch für Mauricio Macri wird der Urlaub dieses Jahr weitgehend entfallen. Denn er muss versuchen, mit all den Gaben klarzukommen, die ihm unter den Christbaum gelegt wurden.

Freilich wusste er von den meisten Geschenken, noch bevor er am 22. November mit knapper Mehrheit zum Präsidenten gewählt wurde. Aber ehe er am 10. Dezember sein Amt antrat, kamen noch ein paar ungeplante Überraschungen dazu. Und erst nachdem seine Minister am 11. Dezember mit dem Auspacken begannen, begriff der Präsident allmählich das Ausmaß der Bescherung. Dabei sind auch zehn Tage nach Amtsübernahme noch nicht alle Päckchen geöffnet. Bislang ist nur eines sicher: Alle Geschenke sind vom Umtausch ausgeschlossen.

An der Avenida Diagonal Sur, etwa zehn Gehminuten vom rosa getünchten Regierungspalast Casa Rosada, residiert das Instituto Nacional de Estadística y Censos, kurz Indec. Dessen neuer Direktor, Jorge Todesca, ein prominenter Ökonom, gab kurz nach Amtsantritt zu Protokoll: „Das Ausmaß der vorgefundenen Zerstörung ist beängstigend.“

Todesca war 2002 Vize-Wirtschaftsminister, er gehörte zu jenen Ökonomen, die Argentiniens Wirtschaft nach dem verheerenden Staatsbankrott wieder auf die Füße stellten. Er hat schon vieles erlebt in einem Land, dessen Währung in 60 Jahren 14 Stellen verlor. Aber ein solches Desaster hat Todesca noch nie vorfinden müssen.


Rowdys stürmten Büro. Im Februar 2007 wurde das einst renommierte Amt von Néstor Kirchner unter staatliche Kontrolle gebracht. Mehr als 100 Fußballrowdys rückten in die Büros ein und bewegten mit ihrer in Fankurven antrainierten Überzeugungskraft die Angestellten des Amtes zur Manipulation der nationalen Datenbasis. Werte für Bruttoinlandsprodukt, Inflation, Wachstum, Exporte, Einfuhren und – besonders schändlich – die Armutsquote des 40-Millionen-Landes wurden mit Baseballschlägern weichgeklopft.

Nun wurde der Neu-Direktor nach realen Werten gefragt, aber da konnte er nur abwinken. Er hat keine, die Datenbasis ist zerstört und Fachpersonal verschwunden. „Ich kann die Werte ja nicht frei erfinden“, sagte Todesca.

Kapitän Mauricio Macri und seine Ökonomie-Offiziere müssen auf ihrer Reise in ein normales Land im Datennebel ablegen. Und sie alle wissen: Die zahmen Wasser des Río de la Plata können tückisch werden, wenn die Winde aus dem Süden kommen.

Cristina Kirchner, die sich weigerte, ihrem Nachfolger die Amtsschärpe überzustreifen, flog am 10. Dezember heim nach Patagonien, um dort die Weihnachtsgeschenke für ihren Enkel Néstor Iván einzupacken. Außerdem organisiert sie von dort aus den Südwind gegen Mauricio Macri.

Dieser konnte – mit heftigem Druck – durchsetzen, dass sein Parteifreund Federico Sturzenegger, ein Harvard-Ökonom mit Schweizer Vorfahren, nun die Führung der Zentralbank übernommen hat. Was beide jedoch nicht stoppen konnten, ist die Lawine, die im Februar auf Buenos Aires zurollen wird. Dann werden nämlich jene Future-Anleihen fällig, mit denen die Kirchner-Regierung Wahlgeschenke finanzierte. Ausgegeben zu einem Kurs von 10,50 Pesos zum Dollar, waren die Titel ein hundertprozentiges Geschäft, denn alle Argentinier wussten, dass der Peso deutlich abgewertet werden musste. Mit der Sicherheit, im Februar, nach dem Regierungswechsel, 14 oder 15 Pesos für die eingesetzten 10,50 zu bekommen, kauften Firmen, Banken und Privatleute Futures en masse. Kirchner konnte sich doppelt freuen: über ihre Liquidität und die Kopfschmerzen ihres Nachfolgers.

Dessen Zentralbankchef versuchte zunächst, die Gläubiger zu einem Teilverzicht ihrer Ansprüche – es geht um mindestens 50 Milliarden Pesos, etwa 3,5 Milliarden Dollar – zu überreden, doch dabei biss er auf Granit. Kurzfristig wurde überlegt, ob die Zentralbank darob Konkurs anmelden sollte. Um ein verheerendes Signal gleich nach Amtsantritt zu vermeiden, handelte Sturzenegger mit den Gläubigern eine Ratenzahlung aus. Das bedeutet: Die Lawine rollt nun langsamer, aber sie rollt.


Budgetdefizit höher als befürchtet. Und es gibt gute Chancen, dass sie sich ausweitet, denn auch der neue Finanzminister, Alfonso Prat-Gay, hat sein Geschenk inzwischen ausgepackt. Bislang war man in der Regierungskoalition Cambiemos (Für den Wandel) davon ausgegangen, ein sehr erhebliches Budgetdefizit von etwa sieben Prozent zu erben. Doch nach dem ersten Wochenende im neuen Büro sagte Prat-Gay, dass alles noch „wesentlich schlimmer“ sei. Genaue Zahlen nannte er nicht, wohl auch, um die allgemeine Stimmung vor der Präsentation seines wichtigsten Projektes nicht zu gefährden: das Ende der 2011 eingeführten Währungskontrollen.

Am Mittwoch öffnete Prat-Gay die „Fußfessel“ – so nannten die Argentinier das fiskale Folterwerkzeug. Firmen und Bürger können nun wieder Dollars kaufen, ohne vorher inquisitorische Genehmigungsverfahren beim Finanzamt absolvieren zu müssen. Der Peso verlor etwa 40 Prozent seines Wertes. Aber um dieses Wahlversprechen zu verwirklichen, musste Prat-Gay die Dollarreserven auffüllen. Was Cristina Kirchner hinterlassen hatte, verglich ein Vertrauter des Finanzministers mit „einem ausgeräumten Kühlschrank, in dem selbst die Eiswürfelbehälter leer sind“.


Argentinier horten Dollars. Die neuen Dollars kommen vor allem aus Krediten internationaler Banken, dem Verkauf von Getreide, das viele Produzenten in der nun erfüllten Hoffnung auf Abwertung und die Streichung der Ausfuhrzölle für die meisten Agrar- und Industrieprodukte horteten. Und aus einer Umwandlung der Yuan, die seit einem Währungs-Swapgeschäft mit China 2014 im Tresor liegen. Mit 15 bis 20 Milliarden Dollar in der Hinterhand hofft die Regierung, einen Run auf die Wechselstuben abfedern zu können. Außerdem sollen Sparzinsen von 38 Prozent die Bürger locken, ihre außerhalb des Finanzsystems gebunkerten Dollars in die Banken zu tragen, denn, so der Consultant Miguel Bein: „Der Einzige in Argentinien, der keine Dollars hat, ist die Zentralbank.“

In Schließfächern, Matratzen und sonstigen Verstecken sollen die Argentinier zwischen 40 und 50 Milliarden Dollar gesichert haben. Und auf Auslandskonten sollen gar 400 Milliarden Dollar schlummern. Wenn nach der Abwertung nun ein Teil dieses Geldes ins Finanzsystem zurückflösse, dann könnte der Dollarkurs vielleicht auch wieder sinken. Eine vorübergehende Amnestie soll Schwarzgeld in die Pampa zurückholen, Prat-Gay rechnet mit mindestens zehn Milliarden Dollar Rücklauf.

Auch die Präsidentin hat im Ausland einen hässlichen Haufen hinterlassen, den Macris Mannen nun abtragen müssen: Nur, wenn sich das Land mit seinen Altschuldnern einigt, wird die New Yorker Justiz die Blockade des Schuldendienstes aufheben. Seit 31. Juli 2014 steckt das Land in einem technischen Default, weil sich Cristina Kirchner weigerte, das Urteil des Richters Thomas Griesa zu befolgen. Eine Beilegung des Zwistes ist erforderlich, um dem Land wieder internationale Finanzierungswege zu eröffnen.


Weltbank und IWF sollen helfen. Macri, Prat-Gay und ihr Team haben schon vor der Wahl klargemacht, dass sie auch Weltbank und Währungsfonds ansprechen werden, um Kredite für den Aus- und Aufbau der Infrastruktur zu bekommen. Das Stromnetz ist derart marode, dass in weiten Teilen der Hauptstadt der Strom ausfällt, wenn die Temperaturen über 30 Grad steigen. Nun hat der neue Energieminister, Juan José Aranguren, einen bis Ende 2017 geltenden Energienotstand ausrufen müssen, der es den Behörden erlaubt, Stadtviertel nach Plan vom Netz zu nehmen, ehe Leitungen schmelzen. Straßen, Schienenwege und Häfen in miserablem Zustand behindern den Export von Getreide und Mineralien. Kanäle und Rückhaltebecken fehlen, darum wird die flache Pampa regelmäßig überflutet.

Dabei ist es nicht so, dass die Regierung Kirchner nichts getan hätte, sie hat nämlich Milliarden ausgegeben. Wo diese wirklich hingeflossen sind, wird die Justiz ebenso beschäftigen wie die Zerstörung der Datenbasis und die Future-Fiesta vor Kirchners Abwinken.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.12.2015)

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