Deutsche Börse als Filiale Londons

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GERMANY-FINANCE-STOCK-BRITAIN-MERGER(c) APA/AFP/DANIEL ROLAND
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Die beiden größten Börsen Europas wollen fusionieren. Geplanter Sitz ist London, Chef soll ein Deutscher werden – wenn die Regulierer zustimmen. Denn der Plan ist politisch heikel.

Wien/London. Irgendwann muss es ja klappen. Ganze elf Mal hat die Deutsche Börse in den letzten 15 Jahren versucht, sich durch Fusion groß zu machen. Jedes Mal kam etwas dazwischen: Aktionäre begehrten auf, Brüssel legte ein Veto ein, der Partner sprang ab. Diesmal aber stehen die Chancen gut. Denn die Eckpunkte sind fix: Die Deutsche Börse will sich mit der London Stock Exchange (LSE) zusammenschließen – zu dem mit Abstand größten Handelsplatz Europas. Beide Unternehmen sind selbst börsenotiert. Und weil die Deutschen die höhere Bewertung aufweisen, sollten auch ihre Aktionäre mit gut 54 Prozent der Anteile die Geschicke stärker bestimmen.

Sollten – denn was die Manager ausgehandelt haben, läuft auf ein Übergewicht Londons hinaus. Dort nämlich soll die Holding ihren Sitz haben. Das war die rote Linie, die sich die Briten gezogen haben. Im Gegenzug bekommt Carsten Kengeter, der Chef der Deutschen, den Zuschlag für die Führung der neuen Großbörse.

Alle übrigen Top-Posten, vom Aufsichtsrat bis zu den Finanzen, werden streng paritätisch besetzt. Keine Seite soll sich benachteiligt fühlen. Doch auch wenn viele Details noch fehlen, beginnt in Deutschland das Murren. Denn die Erfahrung zeigt: Ein Firmensitz übt Sogwirkung aus. Mit der Zeit verlagern sich wichtige Funktionen zu ihm. Diese Befürchtung hegt man auch hierzulande: in Sachen Bank Austria, deren Konzernmutter UniCredit die Osteuropa-Holding von Wien nach Mailand verlegt. Die Deutschen kennen ein Beispiel, bei dem sie profitieren konnten: Es hat den Finanzplatz Frankfurt beflügelt, dass die EZB dort ihre Zelte aufgeschlagen hat. Den Franzosen brachte es weit weniger, dass sie mit Jean-Claude Trichet den ersten Präsidenten mit vollem Mandat stellen durften. Denn, wie die „FAZ“ klagt: „Vorstandsvorsitzende kommen und gehen“, aber „am Unternehmenssitz spielt die Musik“.

Die Kritik richtet sich an Kengeter. Er habe zu schnell klein beigegeben – und das womöglich einfach aus Karrieregründen. Zumal der 49-jährige Investmentbanker, der die Deutsche Börse erst seit vorigem Sommer mit viel Elan führt, nicht einmal umziehen müsste: Er lebt mit seiner Familie in London. Freilich sprechen auch betriebswirtschaftliche Argumente für eine Aktiengesellschaft (PLC) in Großbritannien: Das britische Gesetz gewährt Aktionären weniger Rechte gegenüber der Unternehmensführung. Die vielen Managern lästige Mitbestimmung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat entfällt ganz.

Dass aber die 25-Milliarden-Fusion an sich allen Beteiligten nützen kann, steht außer Streit. Es sind Synergien zu heben. Der Pool an Liquidität vergrößert sich. Vor allem deutsche Börsianer könnten vom besseren Zugang zum deutlich liquideren Kapitalmarkt Londons profitieren. Die Banken, die Wertpapiergeschäfte abwickeln, nutzen dazu das Clearinghaus einer Börse. Diese sichert sich gegen Ausfälle ab, indem sie Sicherheiten verlangt. Ersetzt man nun zwei solcher Clearingstellen durch eine, setzt das für die Banken Kapital frei. Die „Financial Times“, Sprachrohr der City, ist deshalb Feuer und Flamme: „Do the Deal!“

Brexit bleibt Fragezeichen

Ein großes Fragezeichen aber bleibt ein möglicher Brexit. Zwar versichern die willigen Partner, eine Fusion wäre auch bei einem EU-Austritt Großbritanniens sinnvoll. Aber sie geben ein Risiko zu und setzen einen Ausschuss ein, der die Folgen prüfen soll. Hier setzen die Sorgen der Regulierer an: Es könnte etwa passieren, dass die Infrastruktur des europäischen Derivatehandels plötzlich außerhalb der EU liegt. Er gilt seit der Krise von 2008 als besonders anfälliger Teil des Finanzsystems. Brüssel ist im Zwiespalt. Denn aus anderen Gründen kann der EU-Kommission ein Zusammengehen nur recht sein. Sie will ja den europäischen Kapitalmarkt stärken. Und ein neue Superbörse, die mit den aufstrebenden Handelsplätzen in China mithalten kann, wäre dafür ein willkommenes Signal. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.02.2016)

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