Russland: Wenn der Staat auf privat macht

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Aus Geldnot startet der Kreml eine neue Welle der Privatisierung. Da Staatsdirigist Putin aber nicht über seinen Schatten springt, wird sie wohl nur halbherzig ausfallen. Wer soll also kaufen?

Wien/Moskau. Die Klischees, die über Russen kursieren, wurden ihnen gar nicht so sehr von außen aufgesetzt. Was ihren angeblichen Charakter ausmacht, sagen sie sich in ihren Sprichwörtern vielmehr selbst vor. In diesen neigen sie einmal zum Suff. Dann wieder zum Gesetzesbruch. Richtig erhellend aber ist, wenn die Russen über ihre Arbeitsweise reden. „Wir spannen (die Pferde) langsam ein“, geben sie zu: „Aber dafür fahren wir dann schnell.“

Diesen Eindruck will man offenbar auch in Sachen Privatisierung von Staatsvermögen vermitteln. Seit Kreml-Chef Wladimir Putin am 1. Februar das Startsignal dazu gegeben hat, vergeht kaum ein Tag, an dem die Vorhaben und das Prozedere nicht von irgendeinem hochrangigen Regierungsmitglied neu erläutert werden.

Zuletzt hat Wirtschaftsminister Alexej Uljukajev in der Vorwoche erklärt, man habe bereits Investitionsberater zur Teilprivatisierung des Ölunternehmens Baschneft angeheuert. Beim Diamantenkonzern Alrosa hingegen würden die Parameter erst bestimmt. Was aber Russlands größten Ölkonzern, Rosneft, betrifft, so wurde Ende Februar bekannt, dass Vizepremier Igor Schuwalow die Vorbereitung der Privatisierung von 19,5 Prozent der Anteile bereits angeordnet hatte.

Es geht wohlgemerkt um die Kaliber der jeweiligen Branche: den staatlichen Telefonleitungsriesen Rostelekom mit seinen über 100 Millionen Kunden, den Ölpipelinemonopolisten Transneft, die Petersburger Reederei Sovkomflot. Und noch einige andere mehr.

Ölpreis reißt Loch ins Budget

Die demonstrierte Geschwindigkeit ist leicht erklärt: Der Staat braucht Geld. Die Schrumpfung des BIPs um 3,7 Prozent 2015 wird sich nämlich heuer fortsetzen. Und selbst das dreiprozentige Budgetdefizit kann nicht mehr selbstverständlich gehalten werden. Daran ist vor allem der Ölpreisverfall schuld. Wie Finanzminister Anton Siluanow vorgerechnet hat, würden dem Staat bei einem Ölpreis von durchschnittlich 30 Dollar je Barrel heuer Einnahmen in Höhe von zwei bis 2,5 Billionen Rubel (23 bis 29 Mrd. Euro) entgehen.

Mit Sparen allein kann das Ruder nicht mehr herumgerissen werden. Und da die milliardenschweren Reservefonds schon 2017 zu Ende gehen dürften, führt an einer neuen Privatisierungswelle kein Weg vorbei. Trotz des schwierigen Marktumfelds verspricht sich der Staat daraus Einkünfte von 800 Mrd. Rubel, so Uljukajev.

Bleibt die große Frage, wer eigentlich kaufen soll. Und ob die Privatisierung diesen Namen überhaupt verdient. „Es wird eine Privatisierung light sein“, erklärt Sergej Petrov, Milliardär aus dem Automobilsektor und nun Abgeordneter in der Staatsduma, im Gespräch mit der „Presse“: „Da der Staat die Mehrheit an den zu privatisierenden Unternehmen behalten will, ist es wie Palliativmedizin. An der Corporate Governance der Betriebe wird sich nichts ändern.“

Endet alles in einer Fiktion?

Tatsächlich gelten die Staatsbetriebe im Vergleich zu den privaten als weniger effizient. Dabei hat Putin alle Jahre über ihren Anteil ausgeweitet. Heute beträgt er in einzelnen Sektoren bis zu 80 Prozent, so der Internationale Währungsfonds: Nur in den Vereinigten Arabischen Emiraten und in China ist er höher.

Die Angst, dass das Rad zu sehr zurückgedreht wird, scheint bei Putin groß zu sein. Und so verlangt er neben der Erhaltung der staatlichen Kontrolle auch, dass der Käufer seinen Sitz in Russland haben muss, womit Konkurrenz von außen – auch seitens dort registrierter Russen – ausgeschlossen ist.

Von den Vermögenden im Inland aber sind viele im Moment nicht ausreichend liquide. Und gerade seitens Privatunternehmer ist das Interesse an Investitionen im Inland beschränkt. Wer freie Mittel hat, kauft lieber im Ausland zu.

Das alles senkt den Preis für die zu privatisierenden Aktiva. Und diese Gelegenheit könnten all jene nutzen, die ohnehin an den Futtertrögen des Staates stehen oder zum engsten Kreis des Kreml-Chefs zählen. So der drittgrößte Ölkonzern, Surgutneftegaz, dessen Eigentümerstruktur geheim gehalten wird, der aber auf Dutzenden Milliarden Cash sitzt. „Die Privatisierungsaktion wird zum Test zwischen den Elitegruppen“, meint Petrov.

Am Ende könnte es also zu einer neuen Konzentration der Vermögenswerte in den Händen einiger weniger kommen. Oder – wie es der russische Ökonom Konstantin Sonin formuliert – zu einer „fiktiven Privatisierung, sodass über eine Kette von Mittelsfirmen oder Kreditgarantien am Ende eine Staatsbank oder ein anderes Staatsunternehmen zum Besitzer wird“. Denn „Möglichkeiten, bei solchen Umschichtungen mitzuschneiden, gibt es en masse“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.03.2016)

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