Schweden: Ein Supermarkt ohne Personal

(c) Bilderbox
  • Drucken

In Viken im Süden des Landes eröffnete der erste Supermarkt, in dem Kunden beim Einkaufen ganz allein sind. Nur zum Befüllen der Regale braucht es noch Menschen.

Stockholm. Ein fallen gelassenes Glas Babybrei war schuld an einer möglicherweise folgenschweren Idee. Das Glas war eines späten Abends auf dem Küchenboden von Robert Illijasons Haus in der südschwedischen Gemeinde Viken nahe Helsingborg zerbrochen. Es war das letzte im Haus. Der 39-Jährige musste mit seinem hungrigen Sohn eine halbe Ewigkeit fahren, bis sie zu einem Supermarkt kamen, der noch offen hatte.

Illijason ist eigentlich IT-Spezialist. Nun aber eröffnete er nahe seinem Haus den ersten unbemannten, rund um die Uhr geöffneten Supermarkt Schwedens und möglicherweise der ganzen Welt. Er ist nicht gerade riesengroß, misst etwa 50 Quadratmeter, aber darin gibt es viel von dem, was ein Haushalt grundsätzlich braucht: etwa Brot, Milch, Joghurt, Wurst, Käse, Tiefkühlgerichte, Klopapier und Zucker, aber auch Windeln und Seife bis hin zu einer Auswahl an – wenig überraschend – Babybreisorten. Mit der Kamera ihrer Smartphones, die zuvor mit einer speziellen Software-Application bestückt werden müssen, scannen die Kunden die Streifencodes auf ihren Waren selbst ein.

Damit die App aktiv wird, erfolgt noch per Handy eine digitale Kreditwürdigkeitsprüfung beim Schuldenamt. Die dauert nur etwa eine Minute.

Alles läuft online

Um die Identität der Kunden zu sichern, ist Illijasons Supermarkt-App zudem mit dem Bankkonto-Identifikationsprogramm Bank ID verbunden, dieses ist einheitlich für alle schwedischen Banken. Damit wählen sich die Schweden bei den Internetdiensten ihrer Banken, aber auch etwa dem Finanzamt, anderen Behörden, der Apotheke und an sonstigen Orten, wo es um Zahlungsverkehr geht, ein. Wer fertig eingekauft hat, klickt auf einen Knopf in der App, um seinen Einkauf zu registrieren. Jeden Monat kommt dann per Post oder online eine Rechnung.

Der Erfinder denkt auch an Kundenwünsche: „Wenn die Leute lieber Pfeffer- statt Essigchips haben wollen, können sie die haben. Es gibt einen Kundenbriefkasten in der App, wo die Leute reinschreiben können, welche Waren sie vermissen“, so Illijason. Es sei eigentlich unglaublich, dass niemand zuvor auf die Idee gekommen sei.

In Schweden kommt traditionell Vertrauen vor Kontrolle. Die Gefahr von Diebstählen ist, zumindest auf dem Land, auch heute noch gering. Zudem gibt es im Geschäft mehrere Überwachungskameras. Und dadurch, dass sich jeder Kunde vor dem Eintritt digital anmelden muss, können Diebe auch leichter ausgeforscht werden. Und für die Marktforschung ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten, weil jeder Kunde und dessen Einkäufe präzis registriert werden.
Ganz ohne Menschen kommt der Supermarkt in Viken aber dann doch nicht aus. Regelmäßig müssen ja Waren in die Regale geräumt und abgelaufene Sachen aussortiert werden, bisweilen wird man auch putzen müssen.

Kassierer und Kassiererinnen sind freilich auch in den wirklich großen Supermarktketten des Landes zunehmend Auslaufmodelle. Alle Ketten ersetzen mittlerweile bemannte Kassen durch Kassenautomaten. In Malmö etwa hat Green Matmarknad kürzlich den ersten Großsupermarkt nur mit Automatenkassen gegründet. Da scannen die Kunden ihre Waren selbst ein und bezahlen mit der Kreditkarte.

Tante-Emma-Läden ohne Tante Emma

Nicht wenige Arbeitsplätze sind damit schon weggefallen, denn es genügen in diesen automatisierten Geschäften ein paar Aufsichtspersonen, die an den Automaten stehen und auch sonst nach dem Rechten sehen. Kundenbetreuer nennen die sich.

Mit Illijasons Konzept könnten gerade auch kleinere Supermärkte in entlegenen Gegenden, quasi Tante-Emma-Läden, eine unverhoffte 24-Stunden-Renaissance erleben. Allerdings ohne die sprichwörtliche Tante Emma. „Ich möchte das Konzept auf weitere kleine Orte verbreiten. Das kann der Provinzeinzelhandel 2.0 werden“, sagt Illijason bereits in der Regionalzeitung „Helsingborgs Dagblad“.

Im Örtchen Viken, wo rund 4200 Menschen leben, sind die Meinungen zu dem neuen Geschäftsmodell erwartungsgemäß unterschiedlich. „Das ist toll. Es gibt keine Schlangen mehr an den Kassen, weil es keine Kassen mehr gibt“, meint etwa Dorfbewohner Raymond Arvidsson. „Na ja, also ich weiß nicht, ob die alten Leute mit dieser Technik umgehen können. Ich habe damit Schwierigkeiten“, sagt hingegen die 75-jährige Tuve Nilsson. Sie gehe eigentlich doch lieber in Geschäfte mit Menschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.