Deutschland: Nicht nur Freude über höhere Löhne

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Die Reallöhne in Deutschland stiegen im Vorjahr so stark wie schon lange nicht mehr. Finanzminister Schäuble warnt schon vor einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit.

Wien/Berlin. Die jüngste Aussendung des Statistischen Bundesamtes dürfte die deutschen Beschäftigten freuen: Das Amt bescheinigt ihnen den höchsten Reallohnzuwachs seit Jahren. Im Vorjahr stiegen die Reallöhne um 2,4 Prozent, also deutlich stärker als die Inflation. Die aktuelle Zeitreihe des Statistischen Bundesamtes reicht zurück bis 2008, damals betrug der Anstieg lediglich 0,5 Prozent.

Verantwortlich ist zum einen die niedrige Inflation in Deutschland: Die Verbraucherpreise stiegen 2015 um lediglich 0,3 Prozent. Aber auch die Einkommen seien leicht überdurchschnittlich gestiegen, so das Statistische Bundesamt.

Besonders stark waren die Zuwächse der Löhne für Beschäftigte mit eher unterdurchschnittlichen Einkommen, wie aus den aktuellen Zahlen hervorgeht. Bei den ungelernten Arbeitnehmern fiel der Anstieg mit 4,1 Prozent (allerdings der Nominallöhne) überdurchschnittlich hoch aus. Dafür könnte der Anfang 2015 eingeführte Mindestlohn verantwortlich sein. Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes lasse sich das aber auf Basis der vorliegenden Daten nicht eindeutig sagen. Die Löhne der leitenden Angestellten erhöhten sich um 2,8 Prozent.

Vergleich mit Frankreich

Beim deutschen Finanzminister, Wolfgang Schäuble (CDU), rufen die starken Lohnsteigerungen offenbar schon länger Unbehagen hervor. „Wir befinden uns jetzt in unserer Lohnentwicklung deutlich über dem Produktivitätszuwachs“, sagt Schäuble in einem gemeinsamen Interviewbuch mit seinem französischen Pendant, Michel Sapin, das Anfang der Woche erschienen ist. „Wir müssen jetzt aufpassen, dass wir nicht in fünf Jahren von Frankreich kritisiert werden, wir seien wirtschaftlich nicht mehr genügend kompetitiv“, warnt er.

Durch die langjährige Lohnzurückhaltung – zusammen mit unpopulären Reformen wie Hartz IV – mauserte sich Deutschland vom „kranken Mann“ zum ökonomischen Musterschüler Europas.

Ganz anders die Lage in Frankreich, dessen Wirtschaft unter hohen Lohnsteigerungen aus der Vergangenheit leidet. Schäuble treibt offenbar die Angst um, Deutschland würde seinen Vorsprung verspielen. Seine Angst dürfte nicht ganz unbegründet sein. Während die Löhne stärker steigen, macht die CDU-geführte Regierung derzeit auch einige der Reformen rückgängig, die Deutschland einst so stark gemacht haben.

Mit Österreich lassen sich die Zahlen nur bedingt vergleichen. Denn das Statistische Bundesamt bezieht seine Informationen aus der vierteljährlichen Verdiensterhebung, die nicht alle Beschäftigten umfasst. Solche Erhebungen führt die Statistik Austria nicht durch. Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung (Wifo) prognostiziert für heuer einen Anstieg der Nettolöhne um real 2,6 Prozent. Das liegt an der Steuerreform, die in Österreich heuer eine Entlastung von insgesamt 5,2 Milliarden Euro bringen soll. Im Vorjahr stiegen die Reallöhne hierzulande um 0,5 Prozent.

Inflation deutlich höher

2017 sollen die Reallöhne wieder sinken. Solange Inflation und Steuern hoch blieben, sei es schwer, einen dauerhaft positiven Konsum zu erreichen, sagte Wifo-Chef Karl Aiginger vorige Woche anlässlich der Wifo-Konjunkturprognose. Die Inflation liegt hierzulande nämlich um rund einen Prozentpunkt über dem Durchschnitt im Euroraum: mit 1,2 Prozent heuer und 1,8 Prozent nächstes Jahr. Das liegt nicht zuletzt an den saftigen Gebührenerhöhungen der öffentlichen Hand. (bin)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.03.2016)

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