Pflege: Neue Form des Sozialbetrugs in Deutschland

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THEMENBILD: KRANKENPFLEGEAPA/BARBARA GINDL
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Nach dem Bau haben Wirtschaftskriminelle nun im großen Stil den Pflegesektor entdeckt. In Deutschland ist von einem Schaden in Milliardenhöhe die Rede.

Berlin. Früher hat es solche Razzien am Bau gegeben. Doch in Deutschland muss die Polizei jetzt verstärkt gegen Wirtschaftskriminelle im Pflegesektor vorgehen. Mehr als 100 Ermittler durchsuchten vor Kurzem in Berlin die Geschäftsstelle und Wohnungen von Mitarbeitern einer auf die 24-Stunden-Pflege spezialisierten Firma. Laut Polizeiangaben besteht der Verdacht, dass gegenüber der Pflegeversicherung falsche Leistungen abgerechnet wurden. In Deutschland ist das Geschäft mit der Pflege ein Milliardenmarkt. Pro Jahr werden rund 13 Milliarden Euro für die ambulante Pflege ausgegeben. Davon soll ein Teil in dunkle Kanäle fließen.

Weil der Sozialbetrug in der Pflege ein immer größeres Ausmaß annimmt, hat der deutsche Gesundheitsminister, Hermann Gröhe (CDU), ein Sondertreffen mit Vertretern der Krankenkassen, der Länder, der Ärzte und des Bundeskriminalamtes einberufen.

Denn es gibt Hinweise, dass Banden aus Osteuropa in der deutschen Alten- und Krankenpflege ein großes Betrugssystem aufgebaut haben. In deutschen Medienberichten ist von einem Schaden in Milliardenhöhe die Rede. Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ konnte diese Woche in den geheimen Bericht des Bundeskriminalamtes (BKA) einsehen. Darin heißt es: „Der einfache Zugang zum Pflegemarkt an sich, die finanzielle Ausstattung des Pflegemarktes sowie Mängel in der Kontrolle und Sanktionierung machen den Pflegemarkt generell anfällig für Betrugsstraftaten.“

Dabei soll es sich nicht nur um ein deutsches, sondern um ein europäisches Problem handeln. Denn immer mehr osteuropäische Pflegekräfte sind in Westeuropa tätig. Der Zeitung „Die Welt“ zufolge ist die ambulante Pflege in Deutschland zu wesentlichen Teilen in den Händen vor allem von osteuropäischen Banden. Diese sollen mittlerweile von leichteren Pflegefällen auf die 24-Stunden-Pflege umgestiegen sein, weil dort mehr Geld fließt. Die Liste der Vorwürfe ist lang. Tätigkeiten werden von unqualifizierten Pflegekräften aus Osteuropa ausgeübt. Diese sollen gefälschte Zeugnisse vorgelegt haben. Auch wurden falsche, oder nur zum Teil erbrachte Leistungen abgerechnet.

Hinzu kommt, dass Ärzte für die Vermittlung von Patienten an spezielle Pflegedienste eine Provision erhalten. Auch die europäische Polizeibehörde Europol schlägt in einem Bericht Alarm: „Eine Unterwanderung des Gesundheitsmarktes durch organisierte Kriminalität bietet Möglichkeiten für kriminelle Aktivitäten wie unterschiedliche Betrugsstraftaten zum Nachteil von Patienten und Versicherungen.“ Dies verspreche „hohe Gewinne, ein niedriges Entdeckungsrisiko und deutlich geringere Strafen als traditionelle Kriminalitätsfelder“.

Kontrollen werden verschärft

In vielen Fällen sollen die osteuropäischen Pflegekräfte mit den Patienten und Angehörigen gemeinsame Sache gemacht haben. Ein Pensionist täuschte etwa vor, bettlägrig zu sein. Die Pflegeversicherung bezahlte monatlich bis zu 2000 Euro für tägliche Leistungen wie Waschen, Körperpflege und Kochen. Die Pflegekraft, der Patient und die Angehörigen teilten sich das Geld untereinander auf.

Die Berliner Polizei hat eine eigene Ermittlungsgruppe für Pflegedienste eingerichtet. In Deutschland kommen die Betrügereien unter anderem in „durch Sprachgruppen geschlossenen sozialen Systemen“ vor, wie das dortige Bundeskriminalamt schreibt. Besonders anfällig sollen Regionen mit einem hohen Anteil an russischsprachigen oder -stämmigen Personen sein. Schätzungen zufolge leben in der Bundesrepublik vier Millionen Russischsprachige. In einigen Gegenden von Berlin hat sich eine russische Parallelgesellschaft gebildet. Nach einem Krisentreffen im Gesundheitsministerium wurde vereinbart, dass in Deutschland noch heuer die gesetzlichen Regeln für die Kontrolle von Pflegeleistungen verschärft werden.

In Österreich sind dem Bundeskriminalamt keine solchen Betrügereien bekannt. Bei uns gibt es ein anderes Problem. Bei der 24-Stunden-Pflege für alte Menschen unterbieten untereinander Agenturen aus Osteuropa mit Billigpreisen. Nach Kritik wurden zu Jahresbeginn die gesetzlichen Regeln verschärft. „Doch es gibt noch immer sehr viele Anbieter, die sich nicht daran halten“, kritisiert Christian Elsner, Geschäftsführer von Elsner Pflege, im „Presse“-Gespräch. Eines der Hauptprobleme sei die fehlende Kontrolle. Derzeit gibt es in Österreich über 50.000 Frauen aus Osteuropa, die sich um alte Menschen kümmern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.04.2016)

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