Öl: Heute zu billig, morgen zu wenig

Sag mir, wo die Ölquellen sind: Den fossilen Energiekonzernen fehlt es an Finderglück und dem Geld für weitere Exploration.
Sag mir, wo die Ölquellen sind: Den fossilen Energiekonzernen fehlt es an Finderglück und dem Geld für weitere Exploration.(c) REUTERS (LUCY NICHOLSON)
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Die Rohstoffkonzerne haben 2015 so wenig Ölvorkommen entdeckt wie seit über 60 Jahren nicht mehr – vor allem, weil sie wegen des Preisverfalls massiv Investitionen kürzen.

Wien. In der Ölbranche gibt es ein Sprichwort: Das beste Heilmittel gegen niedrige Ölpreise sind niedrige Ölpreise. Hinter dem scheinbar absurden Satz steht ein vernünftiger Gedanke: Wenn die Preise fallen, müssen die Produzenten ihre Investitionen zurückschrauben. Das verknappt das Angebot, wodurch die Preise wieder steigen.

Doch was sich oft bewährt hat, scheint diesmal nicht zu funktionieren: Schon vor fast zwei Jahren ging es mit dem Absturz los. Auch wenn der Tiefpunkt wohl durchschritten ist und sich die Preise bei 45 Dollar pro Barrel stabilisieren, bleibt das frühere Niveau von über 100 Dollar in weite Ferne gerückt. Dennoch wird die Welt weiterhin von billigem Öl überschwemmt.
Aber der kurzfristige Schein trügt. Das zeigen aktuelle Daten zweier amerikanischer Energieberatungen. Im Vorjahr, meldet IHS Oil & Gas, haben die fossilen Rohstoffkonzerne so wenig neue Ölvorkommen entdeckt wie seit über 60 Jahren nicht mehr: 2,8 Mrd. Barrel, das ist der niedrigste Wert seit 1954. Dabei mischt sich Kalkül in der Krise mit schlichtem Pech.

Geringe Ausbeute

Denn schon in den letzten Jahren vor dem Preisverfall geriet die Ausbeute der Suche immer enttäuschender (siehe Grafik). Stark erschwerend kommt nun dazu, dass alle den Gürtel enger schnallen müssen: Projekte werden zurückgestellt oder ganz eingestampft, Zehntausende Mitarbeiter abgebaut. Vor allem die teuren, aber potenziell besonders ergiebigen Tiefseebohrungen mit langer Vorlaufzeit fallen dem Rotstift zum Opfer. Auf den angefallenen Kosten bleiben die Konzerne sitzen.

Zugleich nimmt der Energiehunger der Menschheit vor allem durch das Wachstum in Asien immer weiter zu. Auch wenn künftig mehr aus erneuerbaren Quellen kommt, bleibt Erdöl in den Prognosen der Internationalen Energieagentur ein wichtiger Faktor. Warum aber ist von einem Engpass noch so gar nichts zu spüren?

Die Antwort ist einfach: In den Nullerjahren, als die Preise hoch und die Kassen prall gefüllt waren, entdeckten die fossilen Konzerne so viele neue Felder, dass sie noch lange davon zehren können. Erst zehn Prozent dieser Schätze sind schon gehoben. Damit fällt es den großen Produzenten umso leichter, auf Explorationen zu verzichten, die aus heutiger Sicht einfach nicht rentabel wären.

Zwar dürfte der massive Investitionsstau – die Schätzungen reichen von 200 bis 400 Mrd. Dollar – schon in den nächsten Jahren preistreibend wirken. Aber dabei geht es eher um den Ersatz von Förderanlagen und unterlassene Instandhaltung. Das Öl selbst wird so bald nicht knapp. Erst ab 2030 sollten die Mengen aus den seit der Jahrtausendwende entdeckten Quellen deutlich zurückgehen.

Späte Folgen

Also noch genug Zeit zum Investieren? Das wäre wohl blauäugig: Offshore-Felder brauchen oft zehn Jahre, bis das Öl wirklich fließt. Gestoppte Großprojekte wieder ganz neu zu starten, kommt sehr teuer. Auch viele der nun gekündigten Fachkräfte dürften dann fehlen: Sie können nicht jahrelang warten und wenden sich anderen Branchen zu. Was heute an Investitionen in die Exploration ausbleibt, ist somit nicht mehr so leicht einzuholen.

Die Knappheit dürfte also eintreten, spät, aber dafür deutlich: Im Jahr 2035 fehlen nach der jüngsten Schätzung der Experten von Wood Mackenzie 4,5 Mio. Barrel pro Tag – die Hälfte des heutigen Bedarfs.
Die Konzerne können den Mangel lindern, etwa indem sie ihre Reserven effizienter nutzen. Da die Branche relativ wenig verschuldet ist, könnte sie auch mehr fremdfinanzieren. Das tut sie bereits – allerdings nicht in die Exploration, sondern um die Dividendenwünsche der lang sehr verwöhnten Aktionäre zu befriedigen.

Man kann sich natürlich fragen, ob der am Horizont absehbare Ölmangel ein Übel oder ein Segen ist. Zum Heizen und zur Stromerzeugung lässt sich Erdöl zum Teil durch Erdgas ersetzen. Davon entdeckt man noch genügend: Der Gasanteil bei den neuen Funden ist im Vorjahr von 65 auf 78 Prozent gestiegen. Gas gilt zudem als Brennstoff, der sauberer ist als Öl.

Und schließlich sollte die Aussicht auf mittelfristige Knappheit und hohe Preise für Verbraucher auch eine starke Motivation sein, den Ausbau von erneuerbaren Energien zu beschleunigen – was ohnehin allseits gepredigt wird. Damit könnte ausgerechnet eine lange Phase extrem billigen Öls am Ende den Kampf gegen den Klimawandel voranbringen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.05.2016)

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