Die "Spätis" wollen sonntags legal öffnen

Treffpunkt im Kiez: Fast durchgängig geöffnete Läden gehören zum Berliner Lebensgefühl – so wie dieser Späti in Kreuzberg.
Treffpunkt im Kiez: Fast durchgängig geöffnete Läden gehören zum Berliner Lebensgefühl – so wie dieser Späti in Kreuzberg.(c) Pierre Adenis/Laif/picturedesk.com
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Lang hat die Stadt nicht so genau hingesehen. Nun, da Berlin penibler auf die Öffnungszeiten achtet, fordern die Spätkaufläden eine Änderung der Gesetze.

Das „Fußpils“ gehört zu Berlin. Kaum jemand, der nachts unterwegs ist, hat keine Bierflasche in der Hand. Dass das möglich ist, hat mit einer weiteren Berliner Institution zu tun: den Spätis. Diese Shops, die bis zu 24 Stunden pro Tag geöffnet haben, sind die Anlaufstelle, um sich ein kaltes Getränk für unterwegs zu besorgen. Dazu gibt es Zigaretten, Süßwaren, Zeitungen und andere Dinge des täglichen Bedarfs, von der Zahnbürste bis zum Klopapier. Je nachdem, was die Kundschaft verlangt. An die 1000 Spätkaufläden gibt es in der deutschen Hauptstadt. Längst schon sind sie ein essenzieller Teil des Berliner Lebensgefühls geworden.

Über die ganze Stadt sind sie verteilt. Besonders viele gibt es dort, wo abends ausgegangen wird: Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain und Prenzlauer Berg. Es sind oft kleine Läden, in deren Mitte sich Bierkisten stapeln. In den Kühlschränken lagern verschiedene Sorten, vom billigen Sternburg-Bier bis zu Hipster-Bieren wie dem Tannenzäpfle aus Baden-Württemberg. Der Flaschenöffner an der Kassa ist genauso obligatorisch wie das Duzen der Kunden. Müsste man die Leichtigkeit der Stadt in einen Raum packen, würde er wohl wie ein Späti aussehen.

Doch dieses Lebensgefühl sehen die Betreiber der Geschäfte nun in Gefahr. Denn seit einigen Monaten interessiert sich die Stadt für sie – und die Einhaltung der Öffnungszeiten. Sie sind in Berlin zwar so liberal geregelt wie sonst nirgendwo in Deutschland: Von null bis 24 Uhr ist das Öffnen erlaubt. Doch am Sonntag gilt selbst hier ein Verbot. Das ignorieren die Shopbetreiber seit Jahren. Sie hielten die Geschäfte einfach offen. Die Stadt wiederum ignorierte diesen laufenden Gesetzesverstoß. Es wurde nicht kontrolliert. Sei es, weil kein Geld da war, um die regelmäßigen Wochenenddienste der Kontrollore zu bezahlen, sei es, weil man es einfach nicht so genau nahm – man ist ja schließlich in Berlin.

Die deutsche Hauptstadt ist im Vergleich zu Wien eine Stadt des Laisser-faire. Sie versucht gar nicht erst, ihre Bewohner von der Wiege bis zur Bahre an der Hand zu begleiten. Auch wenn die fast schon positiv-anarchischen Zustände nach der Wende längst Geschichte sind, so geht hier doch einiges mehr durch.

Oder ging zumindest. Denn seit dem vergangenen Jahr gibt es vor allem im Bezirk Neukölln an Sonntagen immer wieder Kontrollen. Und Strafen für Betreiber, die ihr Geschäft trotz Verbots geöffnet haben. An die 70.000 Euro sollen es im Vorjahr in ganz Berlin gewesen sein. „Bis jetzt hat man ein Auge zugedrückt“, sagt Alper Baba, der vier Spätis in Berlin betreibt. „Warum jetzt nicht mehr?“ Ja, er ist sich bewusst, dass er seine Läden jahrelang illegal geöffnet waren. Doch dass Ordnungsamt und Polizei ihn dafür plötzlich bestrafen – bis zu 2500 Euro kann ein Verstoß kosten –, versteht er nicht. Als ob die jahrelange Duldung ein Gewohnheitsrecht erwirkt hätte.

Baba hat sich nun mit anderen Betreibern zusammengeschlossen, um eine Änderung des Berliner Ladenöffnungszeitengesetzes zu erwirken. Sie fürchten, dass sie ohne Sonntag wirtschaftlich nicht überleben können. Immerhin ist das der Tag, an dem sie den größten Teil ihres Geschäfts machen. Dann nämlich, wenn alle anderen Geschäfte geschlossen bleiben müssen. Alle? Fast, denn es gibt Ausnahmen – etwa für Tankstellen, Shops an Bahnhöfen oder auch für Geschäfte, die touristische Artikel anbieten. Sie dürfen, so wie Bäckereien, auch an Sonn- und Feiertagen öffnen. Wegen ihres breiten Warenangebots fallen die Spätis aber nicht darunter.


Besondere Verkaufsstelle. Genau zu dieser Kategorie der „besonderen Verkaufsstelle“ möchte man künftig auch gehören. Als Argument bringt der Späti e.V., wie der im Frühjahr gegründete Verein heißt, weniger die finanzielle Seite ein, sondern die Rolle, die die Shops für die Stadt mittlerweile spielen. „Es ist eine eigene Kultur entstanden“, meint Baba. Dass Berlin so eine lebendige Stadt sei, glaubt er, sei auch den Spätis zu verdanken. Tatsächlich dauert es auch für Neo-Berliner nicht lang, bis man die Vorzüge der fast ständig geöffneten Geschäfte zu schätzen lernt. Die Spätkaufläden haben auch eine soziale Funktion. Sie sind zu Treffpunkten für die Nachbarschaft geworden. Und zu Anlaufstellen für Menschen, die etwa schnell etwas kopieren müssen – ein Kopiergerät gehört oft ebenso dazu wie ein Internetzugang.


Wahlkampfthema Späti. Mit dieser Einzigartigkeit argumentiert der Verein nun, um aus der sonntäglichen Illegalität herauszukommen. Die Berliner Grünen haben bereits Unterstützung signalisiert. Von ihnen gingen bereits mehrere „Späti-Dialoge“ aus, bei denen Polizei, Ordnungsamt und Verantwortliche der Stadt mit den Betreibern über die Probleme diskutierten. Ein grüner Antrag auf Sonntagsöffnung für Spätis wurde im März allerdings von den anderen Fraktionen im Abgeordnetenhaus abgelehnt. SPD und CDU fürchten, dass Supermärkte und andere Einzelhändler klagen könnten. Die Linken befürchten, dass sich dadurch die Bedingungen für die Mitarbeiter verschlechtern würden.

Alper Baba will dennoch mit dem Verein weiter Druck machen. Man sei mit den Parteien nach wie vor im Gespräch. Am 18. September wird das Abgeordnetenhaus neu gewählt. Die Spätis könnten auch im Wahlkampf eine Rolle spielen. Baba setzt vor allem auch auf die Späti-Kunden: „Sie kennen das Gesetz nicht.“ Und sie würden nicht verstehen, warum sie nicht auch am Sonntag im Späti einkaufen dürfen. Das gehöre einfach zum Lebensgefühl – man ist ja schließlich in Berlin.

Spätschicht

Die Spätis sind eine Erfindung aus der DDR: Damit Schichtarbeiter auch abends noch einkaufen können, wurden Shops mit längeren Öffnungszeiten geschaffen. Im Westen Berlins breiteten sie sich aus, indem sie sich als Imbiss deklarierten.

Die Öffnungszeiten in Berlin sind seit 2006 fast vollständig liberalisiert. Lediglich für Sonn- und Feiertage gilt ein Öffnungsverbot, für das es allerdings einige Ausnahmen gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2016)

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