US-Zinsen bleiben wohl am Boden

(c) Bloomberg (Scott Eisen)
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Unerwartet schlechte Wirtschaftsdaten in den USA und Unsicherheiten vor der Abstimmung über den Brexit machen eine Zinsanhebung im Juni unwahrscheinlich.

New York. Vorausgesagt haben es zuletzt die meisten Analysten, aber jetzt scheint es so gut wie sicher zu sein: Die für 15. Juni geplante Erhöhung der Leitzinsen in den USA kommt mit großer Sicherheit nicht. Am Wochenende hat sich mit Lael Brainard erstmals ein prominentes Mitglied des Offenmarktausschusses der US-Notenbank Federal Reserve (Fed) für „Zurückhaltung in der Geldpolitik“ ausgesprochen. Soll heißen: Inflation und Arbeitsmarkt sind noch lange nicht dort, wo sie die Fed als Voraussetzung für weitere Zinsschritte gern sähe.

Letzter Anstoß für die Kursänderung waren die in der vergangenen Woche präsentierten US-Arbeitsmarktdaten, die viel schlechter als erwartet ausgefallen waren. Statt wie erwartet 160.000 waren nur rund 38.000 Arbeitsplätze neu entstanden.

Die Fed hatte für heuer eine ganze Reihe von Zinserhöhungsschritten geplant. Insgesamt waren vier Zinserhöhungen vorgesehen. Die offenbar viel schlechter als erwartet laufende Konjunktur hat ihr allerdings einen Strich durch die Zinsrechnung gemacht. Übrig geblieben ist bisher eine einzige Anhebung der Leitzinsen, die jetzt in einer Bandbreite von 0,25 bis 0,5 Prozent liegen. Experten gehen davon aus, dass die US-Leitzinsen heuer maximal noch einmal auf 0,5 bis 0,75 Prozent angehoben werden.

Dass es im Juni nicht dazu kommt, hat allerdings auch mit Entwicklungen außerhalb der US-Konjunktur zu tun. Nur eine Woche nach der Fed-Sitzung, bei der der Zinsschritt ursprünglich hätte beschlossen werden sollen, stimmen nämlich die Briten über den Verbleib in der EU ab. Experten sind sich darüber einig, dass ein Ja zum Brexit kurzfristig für größere Verwerfungen auf den internationalen Märkten führen würde. Eine Reihe von Notenbanken, darunter die Euro-Notenbank EZB, hat bereits angekündigt, in diesem Fall für Marktinterventionen bereitzustehen. Für die US-Notenbank hätte es wohl seltsam ausgesehen, wenn sie ein paar Tage nach einem Zinserhöhungsbeschluss wegen möglicher Brexit-Turbulenzen einen entgegengesetzten Schritt hätte setzen müssen.

Für die Fed wird das Zeitfenster für eine Zinserhöhung damit ziemlich eng. Es gibt praktisch nur noch eine Chance, und das ist die planmäßige Fed-Sitzung Ende Juli. Denn danach beginnt die heiße Phase des US-Präsidentschaftswahlkampfs. Und es gilt als ausgeschlossen, dass die Währungshüter gerade dann möglicherweise weitreichende, die Wahlen beeinflussende Schritte setzen könnten. Zwischen Juli und der für Ende Dezember geplanten letzten Fed-Sitzung in diesem Jahr sind den Währungshütern die Hände mehr oder weniger gebunden.

An den Finanzmärkten haben die schlechten US-Daten für erhebliche Verunsicherung gesorgt. Die Börsenkurse gaben am Freitag breitflächig nach, der Dollar sackte gegenüber dem Euro kräftig ab, und der Goldpreis zog deutlich an. An den Börsen sind Zinserhöhungen zwar nicht beliebt und sorgen regelmäßig für Kurseinbrüche, noch schwerer wiegen aber offenbar Konjunktursorgen, die die Gewinne der börsenotierten Unternehmen stark beeinflussen könnten.

Beherrschendes Thema an den Börsen ist in nächster Zeit aber nicht die Fed, sondern der drohende Austritt Großbritanniens aus der EU. Experten gehen deshalb davon aus, dass die Anleger in den kommenden beiden Wochen extrem vorsichtig agieren und größere Engagements eher aufschieben werden. Grundsätzlich war die Situation zumindest an den europäischen Aktienmärkten nicht so schlecht. Einige Analysten hatten zuletzt sogar eine Sommerrallye prophezeit, die etwa den deutschen Leitindex DAX in die Gegend von 11.000Punkten bringen könnte. Im Falle eines Brexit müssen freilich all diese Prognosen eingestampft werden. Dann wird es zumindest kurzfristig nicht nur an der Börse in London recht zügig abwärtsgehen.

Schon heute, Montag, dürften die Börsianer gebannt nach Philadelphia blicken: Dort tritt Fed-Chefin Janet Yellen beim World Affairs Council auf – und es ist ihre letzte Gelegenheit, Andeutungen darüber zu machen, ob die Fed ihre Zinserhöhung tatsächlich abbläst oder nicht. Danach beginnt die „Blackout“-Periode, in der sich Fed-Mitglieder nicht mehr äußern dürfen. (ju/ag.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.06.2016)

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