Shell zieht aus kanadischer Arktis ab

A logo of Shell is pictured at a gas station in the western Canakkale province
A logo of Shell is pictured at a gas station in the western Canakkale province(c) REUTERS (© Murad Sezer / Reuters)
  • Drucken

Der Mineralölkonzern überlässt seine Erkundungslizenzen einer Umweltorganisation. Das hat freilich auch mit dem Verfall des Ölpreises zu tun.

Ottawa/London. Die Nachricht kam gestern wie ein Paukenschlag: Der Energiekonzern Shell, oftmals für seine Aktivitäten in der Arktis kritisiert, verzichtet auf Ölerkundungslizenzen für die kanadische Arktis, um die Errichtung eines Meeresschutzgebiets zu erleichtern. Zu diesem Zweck übertrug das Unternehmen am Mittwoch die Erkundungsrechte für die polaren Gewässer an die kanadische Umweltorganisation Nature Conservancy. Diese gab die Rechte ihrerseits an die Regierung weiter. In der Region leben Wale, Seehunde, Walrösser, Eisbären und viele Vögel.

Kanadas Regierung verfolgt Pläne für die Errichtung eines 44.500 Quadratkilometer großen Schutzgebiets in der polaren Meeresregion Lancaster Sound vor der Nordküste – das entspricht etwa der Größe von Österreichs halbem Staatsgebiet. Durch den Beitrag von Shell könnte das Schutzgebiet um weitere 8600 Quadratkilometer wachsen.

Heterogene Motive

Weil das Eis in der Arktis zunehmend schmilzt, ist das Gebiet in den vergangenen Jahren immer stärker ins Blickfeld der globalen Rohstoffkonzerne geraten. Dabei ist gerade Shell von Umweltschützern, die um die ökologisch sensible Region fürchten, scharf für seine dortigen Ölaktivitäten kritisiert worden.

Dass der britisch-niederländische Konzern, der weltweit zweitgrößte hinter Exxon Mobil, nun den Retourgang einlegt, hat freilich nicht nur mit ökologischen Motiven zu tun.

Wie alle anderen Öl- und Gaskonzerne leidet auch Shell unter dem Verfall des Ölpreises, der zwischen Sommer 2014 und Jänner 2016 um drei Viertel eingebrochen war. Trotz einer Erholung in den vergangenen Monaten liegt der Preis noch immer unter der Hälfte seines vorherigen Wertes.

Die gesamte Ölbranche kürzt seither angesichts sinkender Gewinne ihre Ausgaben radikal zusammen und investiert nur ein Minimum in neue Felder. Shell streicht allein in diesem Jahr 12.500 Stellen. 2015 verkaufte Shell bereits Geschäftsteile über 5,5 Mrd. Dollar (4,85 Mrd. Euro). Bis etwa 2018 sollen weitere Anteile im Wert von 30 Mrd. Dollar versilbert werden.

Shell verdaut seinen Zukauf

Shell hat freilich nicht nur den niedrigen Ölpreis zu verkraften. Der Konzern muss zudem die Übernahme des britischen Rivalen BG verdauen. Für die hauptsächlich im Gasgeschäft tätige BG hat Shell kürzlich 54 Mrd. Dollar gezahlt. Mit der Übernahme steigt Shell zum weltweit führenden Anbieter von Flüssiggas auf.

Nun aber muss der Sparkurs umso intensiver vorangetrieben werden. Bis zu zehn Prozent der Öl- und Gasproduktion sollen laut Unternehmensmitteilung vom Dienstag verkauft werden. Damit stünde das Geschäft in bis zu zehn Ländern zur Disposition. Welche das sind, wurde nicht bekannt.

Jedenfalls kündigte Shell an, die jährlichen Investitionen bis zum Ende des Jahrzehnts unter 30 Mrd. Dollar zu halten. Für 2016 stutzte der Ölkonzern die Investitionen zum dritten Mal zusammen, auf nun 29 Mrd. Dollar. Ursprünglich sollten es 35 Mrd. sein. Die Integration von BG soll zu Kostensenkungen von über 4,5 Mrd. Dollar führen, das sind eine Milliarde mehr als zunächst anvisiert.

Richtungswechsel?

Shells Rückzug hat Greenpeace gestern übrigens zur Einschätzung veranlasst, dass sich in der Ölbranche ein Richtungswechsel abzeichne: Nachdem auch der russische Gaskonzern Gazprom bekannt gegeben habe, in der Arktis nicht nach Öl zu bohren, sei nun auch die OMV am Zug.

Letztlich wird die Richtung vom Ölpreis vorgegeben werden. Nach der rasanten Erholung hat er gestern vorerst einmal leicht korrigiert und ist im Fall der europäischen Sorte Brent um gut ein Prozent auf unter 52 Dollar je Barrel gefallen.

Fundamental gesehen, könnte die Klettertour bald weitergehen. Neue Waldbrände in Kanada behindern die Produktion. Und in den USA sind die Ölbestände nach Zahlen vom Mittwoch zum dritten Mal in Folge gefallen. Allerdings ist auch die US-Ölförderung erstmals seit vielen Wochen angestiegen. (est)

AUF EINEN BLICK

Mit dem Verzicht auf weitere Ölsuche in der kanadischen Arktis hat der Ölkonzern Shell gestern für Aufsehen gesorgt. Shell hat nicht nur aus ökologischen Motiven gehandelt. Wie alle Konzerne muss auch das britisch-niederländische Unternehmen aufgrund des Ölpreisverfalls Investitionen kürzen. Auch muss Shell den milliardenschweren Kauf des britischen Rivalen BG verdauen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.06.2016)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

International

Shell zieht sich aus kanadischer Arktis zurück

Der Energiekonzern übertrug die Erkundungsrechte für die polaren Gewässer an eine kanadische Umweltorganisation.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.