Buy.ology: Kaufen mit viel Gefühl

Pepsi und Cola
Pepsi und Cola(c) AP (MARK LENNIHAN)
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Warum kaufen wir, was wir kaufen? Warum ist für uns klar, ob wir uns für Coca-Cola oder Pepsi entscheiden? Ein dänischer Marketingexperte erforscht mittels "Gehirnscans" unsere Kaufentscheidungen.

Rache ist süß. Oder ein Song. In Dave Carrolls Fall ist es ein Countrysong auf der Internetplattform YouTube. Im Video zupft ein Mann, schwarzes Kurzhaar, Karohemd, fast stoisch an seiner Gitarre. Und singt sich sein Leid von der Seele.

„United Breaks Guitars“, intoniert Carroll mit ernster Miene, ein gedemütigter Passagier, der die amerikanische Fluglinie United Airlines mit den Mitteln moderner Massenkommunikation an den Pranger stellt. Im Frühling 2008 bestieg Carroll zusammen mit seiner Band ein Flugzeug der Fluggesellschaft und musste dabei zusehen, wie seine (nach eigenen Angaben) 3500 Dollar Gitarre der Marke Taylor unsanft behandelt wurde: Flughafenarbeiter warfen sie umher. Das Instrument war schwer beschädigt, Carroll verlangte eine Kompensation, was die Fluglinie schlichtweg ablehnte. Der mittelmäßig erfolgreiche Countrysänger drohte damit, drei Lieder zu komponieren. Was er auch tat. Und vermutlich den Smashhit seines Lebens landete.

Mehr als fünf Millionen Internetnutzer haben das Video seit Anfang Juli gesehen, der Fall schaffte es sogar in die amerikanischen TV-Nachrichten, United Airlines versprach Schadenersatz. Vor ein paar Tagen stellte Carroll „Song Number 2“ ins Netz. Rache ist ein bittersüßer Song.

Die neue Macht der Konsumenten. David gegen Goliath: Ein Konsument kämpft gegen die „Corporation“ – und noch dazu geist- und siegreich. Eine Ausnahme, ein Einzelfall, wird manch einer sagen. Für Martin Lindstrom, Marketingguru, geboren 1970, ist der United-Song hingegen ein Beispiel, das die (potenzielle) Macht eines jeden Konsumenten treffend beschreibt. „Wegen Facebook und Twitter sind Marken heute schon sehr stark vom Konsumenten beeinflusst“, sagt er im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. „Konsumenten können eine Marke pushen oder sie zerstören.“ Nach dem Motto: Lass den Ärger bei deinen „Friends“ ab, sie werden ihn sicher weitertragen.

Eine Entwicklung, die noch lange nicht an ihrem Zenit angelangt ist, wenn man Lindstrom glaubt, einem klein gewachsenen Dänen mit blonder Igelfrisur, der aussieht wie ein etwas in die Jahre gekommener Schulbub. Lindstrom ist als Brandingberater international tätig und erklärt Unternehmen, wie sie ihre Marken erfolgreicher machen können.

„Die Marken der Zukunft werden jene sein, die von Konsumenten kontrolliert und sogar kreiert werden“, sagt der Marketingexperte, der Google für die derzeit mächtigste „Brand“ hält („Es gibt sie erst seit sieben Jahren und sie hat ein sehr loyales Publikum.“). Marken jedenfalls müssten auf die Bedürfnisse der Verbraucher immer flexibler reagieren, alte Superbrands kämen dadurch vermehrt unter Druck, weil hinter ihnen behäbige Unternehmen stehen.
Coca-Cola oder Pepsi? H&M oder New Yorker, Gucci oder Louis Vuitton, Levi's oder Diesel, Schöller oder Eskimo, McDonald's oder Burger King, Microsoft oder Apple: Für die meisten von uns sind es ideologische Gräben, die sich zwischen konkurrierenden Marken auftun. Und eine klare Sache, für wen man sich entscheidet. Begründen können allerdings die wenigsten Konsumenten ihre Wahl.

Aber welche Mechanismen stecken nun hinter einer Kaufentscheidung? Martin Lindstrom versucht herauszufinden, warum uns manche „Brands“ mehr überzeugen als andere. Seine Methode ist das sogenannte „Neuromarketing“. Statt auf Gesprächsrunden, Produkttests oder Telefoninterviews zu setzen, lässt er mittels Magnetresonanztomografie die Gehirnströme seiner Probanden messen. „Gehirnscan“ nennt er das salopp.
Sinnliche Einkäufer. Das Fazit seiner Untersuchungen: 90 Prozent aller Kaufentscheidungen werden unbewusst getroffen. Es sei in erster Linie eine emotional begründete Wahl, nicht der Preis, der den Ausschlag für das Zugreifen im Regal gebe. Was uns sympathischer erscheint, ist das Resultat von jahrelanger Arbeit der Marke – an uns: sogenannte „somatische Marker“, Lesezeichen, die sich in unseren Gehirnen eingepflanzt haben. Vier Sekunden dauert es, bis eine Kaufentscheidung feststeht: „Das ist eine Reflexion der vielen Jahre, in denen die Marke versucht hat, dich zu beeinflussen.“

Irrationale Entscheidungen, die sich auch beim Zigarettenkauf niederschlagen: Die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen seien sinnlos, behauptet Lindstrom. Im Gegenteil: Die sündteuren Kampagnen würden sich als „tödliches Marketinginstrument für die Tabakindustrie“ erweisen. Aus seinen Untersuchungen weiß Lindstrom, dass die Warnhinweise bei den Konsumenten ein Areal im Gehirn aktivieren, den Nucleus accumbens, Lindstrom nennt es „Suchtzentrum“. Die Lust auf Zigaretten würde noch weiter angeregt.

Als Manipulation möchte es Lindstrom dennoch nicht bezeichnen, wie Marken funktionieren. Eher schon als Kunst der Überredung, Spiel mit dem Geheimnis oder Ritual. „Ich liebe Lego. Hat es mir geschadet, dass ich mit Lego gespielt habe? Ich glaube, das kann man nicht sagen.“ Eine beruhigende Nachricht gibt es für die Konsumenten: Wenn das Produkt nicht gehalten hat, was es verspricht, dann greift man nicht noch mal zu. Marke hin oder her.


Nur mehr mit dem Auto. Auch Dave Carroll wird nicht wohl nicht mehr mit United fliegen. „I should have gone by car“, lautet sein musikalisches Fazit. Die Kompensation, die United dem geschädigten Carroll anbot, schlug er aus. In einer Stellungnahme zeigte sich das Unternehmen erstaunlich geständig: „Das Video bietet für United eine einzigartige Möglichkeit. Wir würden es gerne für Trainingszwecke nutzen.“ Flexible Marken lernen eben.

Martin LIndstrom

„Buyology“. In „Buyology: Warum wir kaufen, was wir kaufen“ (Campus Verlag) beschreibt Lindstrom die unbewussten Triebkräfte, die unser Kaufverhalten steuern.

Marketingguru. Als „Brand Consultant“ ist Lindstrom für internationale Unternehmen tätig, darunter Nestlé, American Express und Microsoft. Das Time Magazine wählte ihn 2009 unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt.

www.MartinLindstrom.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2009)

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