Wie Österreich vom Brexit profitieren soll

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Finanzminister Schelling und Außenminister Kurz wollen Firmen und internationale Organisationen von London nach Wien locken. Sie planen Roadshows.

Die Liste ist lang, und die Namen darauf haben einen großen Klang in der Wirtschaftswelt. Ob die US-Geldhäuser Goldman Sachs, Morgan Stanley und JP Morgan oder britische Finanzinstitute wie HSBC oder Lloyds, ob Autohersteller wie Ford oder Billigfluglinien wie Easyjet und Ryanair, oder der Telekomriese Vodafone: Etliche renommierte Unternehmen und Banken denken nach dem Brexit-Referendum mit unterschiedlicher Lautstärke darüber nach, Arbeitsplätze, Geschäfte oder gar ihre Sitze aus Großbritannien abzuziehen. Das Buhlen um die Abwanderungswilligen hat längst begonnen. Und auch Österreich will ihnen den roten Teppich ausrollen.

Angebotsbrief an EU-Bankenaufsicht

Finanzminister Hans Jörg Schelling und Außenminister Sebastian Kurz stellten am Donnerstagmorgen vor einer Handvoll Journalisten ihre Pläne vor, wie sie internationale Firmen und Organisationen von London nach Wien locken wollen. Der Europäischen Bankenaufsicht EBA hat Schelling bereits brieflich angeboten, sich in Wien anzusiedeln. Die Erfolgsaussichten sind überschaubar.

Vermutlich wird es die EU-Behörde, die ihren Abschied aus London angekündigt hat, eher nach Frankfurt, Paris oder Mailand ziehen. Doch auch die Alpenrepublik will aufzeigen. Beide, Kurz und Schelling, verwiesen bei ihrem gemeinsamen Termin im Büro des Außenministers darauf, dass Österreich für viele Unternehmen und Institutionen als Brücke nach Südosteuropa fungieren könnte.

Der Kuchen, der da neu verteilt wird, ist groß. Ein Auge werfen die Österreicher dabei auf die britische Finanzbranche, in der zwei Millionen Menschen beschäftigt sind, davon allein 400.000 in London, dem weltweiten Zentrum der Hedgefonds (49 Prozent des globalen Volumens) und des Devisenhandels (41 Prozent). Die Hälfte aller Finanzunternehmen hat ihre Europazentralen in der britischen Hauptstadt. Das könnte sich nun ändern, nachdem die Briten für den Austritt aus der EU gestimmt haben. Angeführt wird das Feld der Brexit-Abstauber derzeit von Frankfurt. Die deutsche Finanzmetropole rechnet allein in den kommenden fünf Jahren mit 10.000 zusätzlichen Jobs in der Branche. Auch Dublin ist am Start; man spricht dort Englisch und verlangt nur 12,5 Prozent Steuern von Unternehmen. Auch Luxemburg lockt.

In der Roadshow wollen nun das Außenamt und die Wirtschaftskammer gemeinsam Standortvorteile Österreichs anpreisen. Kurz will zu diesem Zweck im September nach London reisen. Geplant sind zudem Inserate in Wirtschaftsmedien, Info-Kampagnen in sozialen Medien und Auftritte vor Verbänden. Dass noch einiges zu tun wäre, um Österreich für Investoren attraktiver zu machen, wissen sowohl Schelling als auch Kurz. Aber sie wollen es trotzdem versuchen, ohne allzu aggressiv abzuwerben.

37 internationale Organisationen haben schon jetzt ihren Sitz in Wien. Bemühen will sich die Bundesregierung nun zunächst um die derzeit in London ansässige EU-Arzneimittelagentur EMA, wobei da schon Italien, Schweden und Dänemark im Ring warten. Auch die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung würde ins Profil österreichischer Scouts passen. Doch dazu schweigen der Finanz- und der Außenminister. Verfangen könnten die Lockangebote jedoch vor allem bei dem einen oder anderen Unternehmen, das Niederlassungen aus Großbritannien in die EU transferieren will. Etliche hätten schon angefragt, verriet Kurz. Fiat-Chrysler kündigte bereits an, die Traktorenproduktion nach Steyr zu verlagern.

Höhere EU-Beiträge abgelehnt

Kurz und Schelling wollen jedenfalls in Großbritannien auf Österreichs diesbezügliche Willkommenskultur hinweisen. Ganz und gar nicht großzügig zeigen sie sich jedoch beim EU-Budget. Beide Minister lehnen eine Erhöhung des österreichischen Beitrags nach einem EU-Austritt der britischen Nettozahler ab. Sie fordern Einsparungen. Ihrer Analyse nach wird die Phase der Unsicherheit im britisch-europäischen Verhältnis nicht so rasch vorbei sein. Kurz rechnet damit, dass es nach den zweijährigen Austrittsverhandlungen noch einmal fünf Jahre dauern könnte, bis sich die EU und London auf ein Wirtschaftsabkommen einigen. Und Unternehmen hassen kaum etwas mehr als Unsicherheit. Die Sirenenklänge, auch die österreichischen, die sie von der Insel locken sollen, könnten deshalb auf offene Ohren stoßen. (cu)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.07.2016)

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