Die Angst vor Terror und die neue politische Situation bremsen Turkish Airlines in ihrer rasanten Expansion. Das trifft die gesamte türkische Wirtschaft empfindlich.
Keine Fluglinie wächst so schnell und expandiert so aggressiv: Temel Kotil lässt keine Gelegenheit aus, den rasanten Steigflug von Turkish Airlines zu schildern. Da kann schon Neid aufkommen, angesichts zweistelliger Wachstumsraten bei Kapazität und Passagieren – von Umsatz und Gewinn gar nicht zu reden. Das stand jedenfalls noch zu Jahresbeginn auf dem Businessplan.
Spätestens nach dem gescheiterten Putsch, den die USA nun zum Anlass nahmen, alle Flüge von Turkish in die USA zu verbieten, ist klar, dass dem Höhenrausch Ernüchterung folgen dürfte. Aber sogar schon vor dem verheerenden Anschlag am Istanbuler Flughafen, dem Heimat-Airport von Turkish, zeigte sich, dass sich die halbstaatliche und von Präsident Recep Tayyip Erdoğan massiv geförderte Airline auf raue Zeiten einstellen muss. Gab es im Vorjahr einen Rekordgewinn von 2,99 Mrd. Lira (926 Mio. Euro), was ein Plus von 65 Prozent bedeutete, so fiel im ersten Quartal mit 1,24 Mrd. Lira der größte Verlust seit 1999 an.
Der Terror, der Konflikt mit den Kurden und der Streit mit Russland, der zu einem – inzwischen wieder aufgehobenen – Verbot der Charterflüge geführt hatte, treffen die Tourismusindustrie der Türkei ins Mark. Turkish ist ein wesentlicher Bestandteil dieser Branche, wenn nicht einer der Treiber der türkischen Wirtschaft schlechthin. Das riesige Streckennetz der Airline, die als Sponsor der Fußball-Europameisterschaft weltweit seine Marke in die Auslage stellte, befeuert auch Handel und Industrie.
Qualitätslieferant Do & Co
Noch vor 15 Jahren transportierte die Fluglinie vor allem im Ausland arbeitende Türken in die Heimat. Mit veralteten Maschinen und null Service. Dann kam 2005 Kotil, geholt vom damaligen Premier Erdoğan. Beide hatten – und haben – ein Ziel: Wachstum. Kotil krempelte die Fluglinie komplett um und machte sie zum Aushängeschild des Landes.
Einen wesentlichen Beitrag dazu leistet ein österreichisches Unternehmen: Do & Co, der Catering-Konzern des gebürtigen Türken Attila Doğudan, ist seit 2006 Partner von Turkish. Aus der riesigen Küche in Istanbul werden täglich an die 170.000 frische Gerichte an Turkish und andere Fluglinien geliefert. Die Kooperation lohnt: Turkish wurde vor Kurzem vom renommierten Marktforscher Skytrax zur besten Fluglinie Europas gekürt – zum sechsten Mal in Folge.
Das rasante Wachstum – seit 2003 hat sich die Passagierzahl versechsfacht, 330 Flieger bedienen 284 Destinationen – ist freilich auch exzellenten Bedingungen geschuldet. Nachtflugverbot und Ticketsteuer gibt es in der Türkei nicht. Auch keine Streiks. Dazu kommen niedrige Gehälter und Gebühren. Dafür sorgt auch Erdoğan. Kein Wunder, dass Turkish in der von der AUA-Mutter Lufthansa dominierten Star Alliance vom willkommenen Partner zum schärfsten Konkurrenten geworden ist. 2013 kündigten die Deutschen das Codeshare-Abkommen mit den Türken. Die AUA überließ 2015 die Istanbul-Strecke ganz dem Konkurrenten.
Die neue politische Situation und die Angst vor weiteren Terrorattacken sowie das US-Verbot holen Kotil und seine 28.000 Mitarbeiter auf den Boden der Realität zurück. Zwar ist Turkish nicht nur vom touristischen Verkehr abhängig. Laut dem Berater Center of Aviation bleiben nur 27 Prozent der Passagiere aus dem Ausland in der Türkei. Sieben Prozent wechseln in Istanbul oder Ankara auf einen Inlandsflug. Der überwiegende Teil steigt aber in Istanbul in einen anderen Transkontinentalflug um. Mit dieser Drehkreuz-Rolle macht Turkish sogar den großen Rivalen vom Golf mit Emirates an der Spitze Konkurrenz. Und wollte sie sogar überholen, wenn der neue Istanbuler Flughafen mit einer Kapazität für 150 Millionen Passagiere 2018 in Betrieb geht. Wenn . . .
All das steht nun auf der Kippe, denn auf dem Weg von Europa nach Fernost oder Afrika gibt es auch alternative Umsteigerouten. Ob der mit wachsendem Wohlstand kräftig gestiegene Inlandsflugverkehr reicht, die Rückgänge wettzumachen, ist fraglich.