Masayoshi Son: Der japanische Draufgänger

SoftBank Group Corp. Chairman and CEO Masayoshi Son smiles during an earnings briefing in Tokyo
SoftBank Group Corp. Chairman and CEO Masayoshi Son smiles during an earnings briefing in Tokyo(c) REUTERS (KIM KYUNG-HOON)
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Um 31,4 Milliarden Dollar kaufte der japanische Mobilfunkbetreiber Softbank den Chiphersteller ARM. Hinter dem Deal steckt Masayoshi Son, ein für Japan untypischer und unkonventioneller Manager.

Was soll ein Mobilfunkbetreiber mit einem Unternehmen anfangen, das Halbleiter produziert? Dieser Frage muss sich der Mann mit dem schütteren Haar, der den oberen Hemdknopf meist offen trägt, seit einigen Tagen stellen lassen. „Ich erkenne da Synergien“, erklärt Masayoshi Son. „Aber ich kann noch nicht genauer darüber sprechen.“

Anfang der Woche hallte seine für japanische Verhältnisse untypisch laute Stimme schon durch einen Londoner Konferenzsaal: „In Zukunft wird es keine Geräte mehr geben, die nicht miteinander und mit dem Internet verbunden sind.“ Und: „Bis 2040 werden pro Person durchschnittlich 1000 Geräte mit dem Internet verbunden sein.“ Was liege dann für einen wie ihn näher, als schnell einen Chiphersteller zu schlucken? Masayoshi Son schnappte zu. Er will einer der Pioniere des Internets der Dinge sein.

Drittteuerste Übernahme. Für 31,4 Milliarden US-Dollar kauft der japanische Mobilfunkanbieter Softbank, Sons Unternehmen, deshalb den britischen Entwickler ARM. Weltweit ist das hinter der Übernahme von Monsanto durch Bayer und den Kauf der schweizerischen Syngenta AG durch China National Chemical Corp. die drittgrößte Akquisition dieses Jahres. Aus japanischer Perspektive ist es die größte internationale Übernahme überhaupt. Da der Kaufpreis zudem um knapp die Hälfte höher lag als der Börsenwert von ARM vergangene Woche, machte sich Masayoshi Son einmal mehr zum Gesprächsthema. In einer Zeit, in der immer mehr Leute lieber nichts riskieren wollen, fällt der Milliardär durch Waghalsigkeit auf.

Der 58-jährige Son ist ein Unternehmertyp, der in seiner Heimat als Mangelware gilt. Kaum eine Industrienation ist risikoaverser als die japanische, kaum irgendwo werden so selten Unternehmen gegründet. Japans Entwicklung der vergangenen Jahre könnte dabei auch für europäische Länder ein Blick in die Zukunft sein. Ähnlich wie Europa seit der Finanzkrise ab 2008 erfährt die japanische Wirtschaft seit dem Platzen einer Spekulationsblase 1990 immer wieder Phasen von Deflation, also fallenden Preisen, weil Nachfrage und Investitionen stocken. Das Wirtschaftswachstum der weltweit drittgrößten Volkswirtschaft ist, zumindest in absoluten Zahlen, seither minimal. Und die Mehrheit der Japaner glaubt nicht, dass es ihnen in Zukunft besser gehen wird.

Weil durch die Wirtschaftspolitik der japanischen Regierung keine merkliche Erholung des Arbeitsmarkts gelingt, versucht Premierminister Shinzō Abe daher schon länger, Leute wie Masayoshi Son zum guten Beispiel zu erklären. Durch Charmeoffensiven und Förderprogramme will er den Unternehmergeist der Japaner beschwören. Junge Menschen müssten sich mehr trauen, hat Abe schon häufiger gefordert. Das Kalkül ist klar: Schaffen die derzeitigen Arbeitgeber keine neuen Vollzeitjobs, so sollten sich die Menschen eben selbst welche schaffen und mit ihren neuen Betrieben gleich weitere Menschen einstellen.

Allerdings denken die meisten Japaner nicht wie Masayoshi Son, der es einst als Sohn eines koreanischstämmigen Fischers zu einem Vermögen von 14 Milliarden US-Dollar brachte. Die meisten Japaner wünschen sich vor allem einen festen Job mit Sozialversicherung. Größer als der Appetit auf Reichtum ist die Angst vor sozialem Abstieg. Kein Wunder in einem Land, in dem sich der Anteil irregulär Beschäftigter in den vergangenen Jahren auf fast 40 Prozent geschraubt hat und in dem diese Jobs im Schnitt um ein Drittel schlechter bezahlt sind. Ein Trend, den Japan mit den meisten europäischen Ländern teilt. Kann ein entmutigender Arbeitsmarkt auch den Unternehmergeist abtöten, anstatt ihn zu fördern?

In Japan sieht es danach aus. Die unternehmerische Aktivität hat sich in den vergangenen Jahren trotz Anstrengungen der Regierung nicht merklich erhöht. Nur 3,8 Prozent der Arbeitsbevölkerung sind Gründer eines Start-ups, damit ist Japan im internationalen Vergleich abgeschlagen – und liegt sogar noch hinter Österreich (8,7 Prozent).

Nach Daten des Analyseinstituts Global Entrepreneurship Monitor, das Länder nach ihrem Umfeld für Neugründungen vergleicht, denken auch nur drei Prozent der Japaner über eine Unternehmensgründung nach. 55 Prozent geben an, sie hätten Angst vor dem Scheitern. Auch dieser Wert ist höher als in anderen Staaten. In den vergangenen Jahren, inmitten ökonomischer Stagnation, war sogar die Zahl japanischer Studenten, die sich auf ein Semester ins Ausland trauten, rückläufig. Von ausländischen Abschlüssen ganz zu schweigen. Ein Auslandsstudium gilt vielen als gewagt, weil es bis heute nicht dem klassischen Lebenslauf entspricht.

Schillerndes Gegenbeispiel. Masayoshi Son ist das schillernde Gegenbeispiel. Er ist ein Zocker, der schon mehrmals die Aussicht großer Verluste ignorierte, tief in die Tasche griff und meistens auch noch recht hatte. Die Story des zweitreichsten Mannes Japans (hinter dem Chef des Kleidungskonzerns Uniqlo, Tadashi Yanai) würde man eher in der Unternehmerökonomie der USA wähnen. Tatsächlich hat sich ein Teil seiner Biografie dort abgespielt. Als Schulabsolvent ging Son auf Empfehlung eines erfolgreichen Unternehmers in die USA, um Englisch und Wirtschaft zu lernen. Dort schaffte er es an die Elite-Uni Berkeley. Als Son Anfang der 1980er-Jahre mit der breiten Brust eines Studienabgängers heimkehrte, riskierte er immer wieder mehr, als andere für klug hielten.

1981 gründete er das Unternehmen Softbank, mit dem er zunächst PC-Software verkaufte und bald ein wohlhabender Mann wurde. In den frühen Jahren des Internets beteiligte er sich an einer damals kleinen Firma namens Yahoo. Die Entwicklung ist bekannt, Yahoo wurde zu einer der weltgrößten Suchmaschinen, bevor es an Google scheiterte und diese Woche von Verizon gekauft wurde.

Anfang der Woche, bei der Verkündung des Deals mit ARM, beschrieb Son seine Investitionsstrategie auf vermeintlich einfache Weise: „Ich kaufe beim Beginn von Paradigmenwechseln.“ Damals war es mit Yahoo das Internet, wie es in seiner heutigen Form bekannt ist. Jetzt sei es das Internet der Dinge, die Vernetzung sämtlicher Geräte.

Investitionen in Alibaba. Dabei ist die Liste großer Investitionen wesentlich länger. Um die Jahrtausendwende, als noch kaum jemand etwas von Onlineshopping ahnte, investierte Son in das chinesische Webhandelshaus Alibaba. 2005 stockte er seinen Anteil auf eine Milliarde Yen auf, der sich spätestens seit Alibabas Börsengang vor zwei Jahren, dem größten der Geschichte, deutlich multiplizierte. 2006 kündigte Son mit Softbank die Übernahme von Vodafone Japan an, in der Erwartung auf den Siegeszug des mobilen Internets. Dazu sicherte er sich für einige Jahre das exklusive Vertriebsrecht des iPhones in Japan. Zuletzt kaufte Softbank auch den französischen Roboterentwickler Aldebaran, durch dessen Know-how vergangenes Jahr der intelligente Assistenzroboter Pepper auf den Markt kam – und binnen kurzer Zeit vergriffen war.

Die Story von Masayoshi Son ist in Japan auch deshalb berühmt, weil sie schon immer untypisch war. Als Karriere-Ideal galt seit den Boomjahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg die lebenslange Vollzeitbeschäftigung in einem möglichst großen Unternehmen. Auch heute streben die meisten jungen Menschen nach dieser Sicherheit, wenngleich der Arbeitsmarkt dies für Jobanfänger immer seltener hergibt. Die Alternative, es wie Masayoshi Son auf eigene Faust zu versuchen, ist bisher nur in sehr kleinen Zirkeln beliebt. Das mag auch daran liegen, dass es an Risikokapitalgebern mangelt und Banken kaum Kredite an Jungunternehmer vergeben.

Eine extravagante Figur wie Masayoshi Son kann in einer risikoscheuen Gesellschaft wie Japan auch abschreckend wirken. Schließlich riskiert der Milliardär längst nicht mehr nur seinen eigenen Wohlstand, wenn er mit einem teuren Deal wie dem von ARM viel Geld aufs Spiel setzt.

Zudem ist auch Son schon grandios gescheitert, zuletzt im Jahr 2012: Damals kaufte Softbank für mehr als 20 Milliarden US-Dollar das US-amerikanische Mobilfunkunternehmen Sprint. Die Übernahme ist bis heute ein Verlustgeschäft geblieben. Welchen Paradigmenwechsel der Unternehmer in der amerikanischen Mobilfunkindustrie auch gesehen haben mag – er scheint ausgeblieben zu sein.

Beförderung nicht wichtig. Ein grundlegender Wandel scheint auch in der japanischen Arbeitswelt nicht in Reichweite. Erst diesen Monat zeigte eine Umfrage des Japan Productivity Center, dass die Mehrheit der japanischen Jobanfänger am liebsten so ist wie die anderen auch. Knapp 60 Prozent gaben an, nicht härter arbeiten zu wollen als die Kollegen. Im Job möglichst viele Beförderungen zu schaffen war der Mehrheit nicht wichtig. Das klingt nicht nach einem Unternehmergeist, den sich die Regierung wünscht. Eher nach Angststarre oder Sättigung.

Steckbrief

Masayoshi Son
wurde 1957 in Tosu in Japan geboren. Seine Eltern sind koreanischer Abstammung.

1981
gründete er sein erstes Unternehmen, Softbank. Damit kaufte er sich bei verschiedenen Internet-Unternehmen ein, unter anderem 1995 auch bei Yahoo. Vor dem Platzen der Internetblase war Softbank 140 Mrd. Dollar wert.

2006
übernahm Softbank Vodafone Japan und sicherte sich die Exklusivrechte für das iPhone.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.07.2016)

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