Machtkampf legt VW-Produktion weitgehend lahm

Die Golf-Produktion in Wolfsburg und Zwickau steht bis auf Weiteres still.
Die Golf-Produktion in Wolfsburg und Zwickau steht bis auf Weiteres still.(c) Bloomberg (Krisztian Bocsi)
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Die Prevent-Gruppe liefert keine Autoteile mehr am Volkswagen. 28.000 Mitarbeiter sind betroffen.

Berlin/Wolfsburg. Am Montag standen die Fließbänder bei Volkswagen still. Im Stammwerk Wolfsburg und in der Fabrikshalle in Zwickau wurde kein Golf und kein Passat mehr zusammengebaut. Aus dem Werk in Kassel waren zu wenige Getriebe geliefert worden, weil es dort wiederum an Gehäusen fehlte.

Auch an den VW-Standorten in Emden, Salzgitter und Braunschweig findet nur noch eine eingeschränkte Produktion statt, seit sich zwei Zulieferbetriebe aus Sachsen, ES Automobilguss und Car Trim, weigern, die bestellten Getriebeteile und Sitzbezüge an VW auszuliefern. Aufgrund der Engpässe ordnete der Konzern „Flexibilisierungsmaßnahmen“ für rund 28.000 Mitarbeiter an – bis hin zur Kurzarbeit.

Hintergrund ist ein Machtkampf zwischen VW und dem neuen Eigentümer der beiden Zulieferfirmen, der bosnischen Prevent-Gruppe. Volkswagen soll Aufträge in Höhe von rund 500 Millionen Euro storniert haben, und zwar laut Prevent „frist- und grundlos“. Man verlangt eine Entschädigung von 56 Millionen Euro für erbrachte Leistungen und wirft VW vor, „seine dominierende Marktstellung gegenüber der Zulieferindustrie“ auszunutzen. VW aber lehnt es ab, diese Summe zu zahlen, weil sie „nicht plausibel“ begründet werde.
Die Verhandlungen wurden am Montag in einem Wolfsburger Hotel fortgesetzt. Sie wären bisher „konstruktiv und vielversprechend“ verlaufen, hieß es gestern Abend von informierter Seite. Es sei aber zu früh, über Ergebnisse zu sprechen.

VW will notfalls den Gerichtsvollzieher einschalten. Die Genehmigung werde es aber nicht vor Ende der Woche geben, teilte das zuständige Landgericht Braunschweig mit. Vor der Entscheidung müsse die Gegenseite die Möglichkeit haben, Stellung zu beziehen.
Die USB-Bank hat ausgerechnet, dass VW durch den Produktionsstopp 100 Millionen Euro verliert – pro Woche. Daneben bekommen nun auch die 500 anderen Lieferanten, die hinter der Golf-Produktion stehen, Probleme. Sie können ihre Teile nicht mehr ausliefern. Und womöglich erleidet durch den Streit sogar die deutsche Konjunktur einen Dämpfer. „Es kann sein, dass im dritten Quartal 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte Wachstum fehlen“, sagte der Europa-Chefvolkswirt der Nordea-Bank, Holger Sandte, am Montag gegenüber Reuters. Er rechnet mit einer „Delle in der Industrieproduktion“, an der die Autobranche großen Anteil hat.

Regierung macht Druck

Dementsprechend machte sich am Montag auch in der Bundesregierung Nervosität breit. Das Wirtschaftsministerium rief Volkswagen und Prevent zur Besonnenheit auf: „Wir erwarten, dass die beteiligten Unternehmen die ungeklärten Fragen so bald wie möglich lösen“, sagte ein Ministeriumssprecher in Berlin. Immerhin gehe es „um Tausende Arbeitsplätze“, die von Kurzarbeit betroffen sein könnten.

Die deutsche Finanzaufsichtsbehörde (Bafin) will prüfen, ob VW die Öffentlichkeit früher über die Probleme hätte informieren müssen. Von diesen Plänen wusste der Konzern am Abend noch nichts: „Wir sind der Auffassung, unsere kapitalmarktrechtlichen Pflichten ordnungsgemäß erfüllt zu haben“, erklärte ein Sprecher.
Autoexperten wiederum kritisierten, dass sich VW bei manchen Autoteilen nur auf einen Zulieferer verlässt: Das sei fahrlässig. Allerdings waren gerade ES Automobilguss (Getriebe) und Car Trim (Sitzbezüge) jahrelang verlässliche Partner. Das Verhältnis verschlechterte sich, als die Prevent-Gruppe vor einem halben Jahr die beiden Betriebe kaufte. Die neuen Eigentümer, die Familie Hastor, gilt als kämpferisch. Angeblich fühlt sie sich von VW ungerecht behandelt.

Nijaz Hastor, der Gründer von Prevent, war bereits vor dem Jugoslawien-Krieg in einer Fabrik in Sarajevo beschäftigt, die Käfer und Golfs produzierte. Danach nutzte er seine Kontakte, um von Slowenien aus ein Netz von Zulieferfirmen aufzubauen. Heute beschäftigt Prevent laut eigenen Angaben 12.000 Mitarbeiter, die Hälfte in Bosnien.

VW ist nicht der einzige deutsche Autokonzern, mit dem man Ärger hat. Beim Landgericht Braunschweig ist auch eine Millionenklage von Prevent gegen Daimler anhängig. Aus einem ähnlichen Grund: Daimler hat im Jahr 2013 Aufträge gekündigt. Prevent beruft sich auf die Verträge und fordert 40 Millionen Euro Schadenersatz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.08.2016)

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