Deutschland: Dieser Überschuss weckt Übermut

Sogar der strenge Hüter der deutschen Finanzen kann sich (leichte) Entlastungen vorstellen.
Sogar der strenge Hüter der deutschen Finanzen kann sich (leichte) Entlastungen vorstellen. (c) APA/AFP/JOHN MACDOUGALL
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Die gute Konjunktur bescherte dem Staat einen Rekordüberschuss im ersten Halbjahr. Rufe ertönen: von rechts nach Steuersenkungen, von links nach mehr Investitionen.

Wien/Berlin. Die Schatzmeister in Berlin können sich die Hände reiben. 18,5 Milliarden Euro mehr Einnahmen als Ausgaben: Noch nie hat der deutsche Staat in einem ersten Halbjahr einen so hohen Überschuss erzielt wie heuer. Bezogen auf die Wirtschaftsleistung sind es 1,2 Prozent, das größte Plus seit dem Jahr 2000. Damals war der Geldsegen einer Versteigerung von Mobilfunklizenzen zu verdanken, also einem Sondereffekt. Diesmal aber liegt es einfach an der stabilen Konjunktur, der guten Lage auf dem Arbeitsmarkt und den historisch niedrigen Zinsen, die auf staatliche Anleihen zu zahlen sind. So sanken die Zinsausgaben um fast 14 Prozent. Die Schuldenquote, die im Vorjahr noch bei 71 Prozent der Wirtschaftsleistung lag, marschiert weiter talwärts, ganz ohne strenge Sparprogramme. Bis 2020 soll sie unter die Maastricht-Grenze von 60 Prozent fallen.

Sieht man von kleinen Inselstaaten ab, erreichen weltweit nur Norwegen und Singapur höhere Überschussquoten. Über die schwarze Null ist Finanzminister Wolfgang Schäuble schon deutlich hinaus. Dieses Versprechen sollte im Wahlkampf von 2013 die deutschen Leistungsträger darüber hinwegtrösten, dass die großen Geschenke an die (Früh-)Pensionisten gingen. Nun aber, gut ein Jahr vor der nächsten Bundestagswahl, fordern sie mehr. Der Wirtschaftsflügel der Union legte schon vor zwei Wochen einen Vorschlag für ein Entlastungspaket im Umfang von über 30 Mrd. Euro pro Jahr vor. Auch Schäuble selbst, der als notorisch „knausrig“ gilt, kann sich eine Entlastung von immerhin zwölf Milliarden vorstellen. Dieser Betrag würde die reine Steuerquote (ohne Abgaben) bei 22 Prozent des BIP fixieren, also im Wesentlichen die kalte Progression abbremsen.

Angesichts der neuen Zahlen hält sich Schäubles Sprecher aber zurück: Für Jubelchöre sei es zu früh, vor allem wegen der Kosten für Flüchtlinge, die im zweiten Halbjahr stark ansteigen dürften. Auch Kanzlerin Merkel macht wenig Anstalten, mit dem Versprechen von Steuersenkungen in den Wahlkampf zu ziehen. Dahinter mag Realismus stecken. Denn wie auch immer der nächste Urnengang ausgeht: Für eine Alleinregierung der CDU/CSU oder eine Koalition mit der langsam wieder erstarkenden FDP dürfte es kaum reichen. Die Große Koalition aber hat in Steuerfragen zu einer Pattsituation geführt: Die einen wollen weniger Steuern für viele, die anderen mehr für die Reichen.

Investitionen als Achillesferse

Das schwarz-gelbe Bündnis davor fiel noch in die Zeit der Finanzkrise und ihrer Nachwehen – ein schlechter Zeitpunkt für Entlastungen, die der deutsche Steuerzahler deshalb schon lange nicht mehr gesehen hat. Handlungsbedarf besteht besonders beim sogenannten Mittelstandsbauch, der steilen Progression in unteren bis mittleren Einkommensklassen. Sie standen auch im Zentrum der österreichischen Steuerreform, bei der vor allem der Eingangssatz stark gesenkt wurde.

Auf der linken Seite des politischen Spektrums gehen die Forderungen freilich in eine andere Richtung: Der Staat solle die neuen Spielräume nutzen, um mehr zu investieren, fordern etwa die Grünen. Sehr stark getrommelt hat für dieses Thema in den letzten Jahren das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), mit der umstrittenen These, dass Deutschland zurzeit seine Infrastruktur verkommen lasse und damit seine Zukunft verspiele. Konjunkturexperten sorgen sich aktuell stärker um die schwachen privaten Investitionen. Im ersten Halbjahr schafften die Unternehmen um 2,4 Prozent weniger Maschinen und andere Ausrüstungen an. Das sei die Achillesferse der deutschen Wirtschaft, findet nicht nur ING-Volkswirt Carsten Brzeski.

Denn wenn heute die Investitionen ausbleiben, bedeutet das für die Zukunft ein geringeres Wachstumspotenzial. Warum aber investieren die Unternehmen so wenig? Wenn es an der Unsicherheit liegt, dann mögen steuerliche Anreize und generell eine wirtschaftsfreundliche Politik durchaus weiterhelfen. Liegt es aber an der Aussicht auf eine rapide alternde und schrumpfende Gesellschaft, könnten vielleicht tatsächlich nur noch öffentliche Investitionen die Lücke schließen – wenn auch nur kurzfristig.

Einen ganz anderen Aspekt bringen die Liberalen ins Spiel: Sie verweisen auf die Niedrigzinspolitik der EZB, die „private Altersvorsorge oder den Vermögensaufbau für Jüngere nahezu unmöglich“ mache. Angesichts der neuen Rekordüberschüsse sei eine steuerliche Entlastung deshalb „nicht nur möglich“, sondern „überfällig“. (gau)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.08.2016)

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