Abkehr von der Globalisierung

Symbolbild: Eine Textilfabrik in Vietnam
Symbolbild: Eine Textilfabrik in VietnamREUTERS
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Die Verflechtung der Staaten geht seit der internationalen Finanzkrise erstmals zurück. Eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung warnt vor negativen Effekten auf Wachstum und Einkommen.

Gütersloh/Wien. Die europäischen Staaten waren in den vergangenen Jahrzehnten die Hauptgewinner der weltweiten Wirtschaftsverflechtung. Exportnationen wie Deutschland konnten ihre Wirtschaftskraft und auch ihr Pro-Kopf-Einkommen dadurch erheblich steigern. Doch laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung geht der durch einen Index errechnete Globalisierungsgrad seit 2007 erstmals zurück, und zwar in 35 von 42Ländern, darunter Österreich. Neben dem Hauptfaktor der wirtschaftlichen Verflechtung (Handel und Kapital) wurden dabei weitere Faktoren wie der Tourismus und die politischen Rahmenbedingungen wie etwa der Zustand der Außenbeziehungen jedes einzelnen Landes eingerechnet.

Was Globalisierungskritiker und manche lokale Unternehmen erfreuen mag, hat gesamtvolkswirtschaftlich negative Folgen. Laut den Studienautoren bremst der Rückgang bei der Globalisierung das Wachstum. Die Binnennachfrage wird wichtiger, kann die Verluste aber nicht kompensieren. „Das Welthandelsvolumen lässt nach, das hat für europäische Länder Nachteile“, so Thieß Petersen, Experte der Bertelsmann-Stiftung für nachhaltige Entwicklung. Im Fall von Österreich sei die globale Kapitalverflechtung ab 2007 rückläufig gewesen. Gleichzeitig sank die wirtschaftliche Verflechtung.

(c) Die Presse

Der Zusammenhang zwischen Wohlstand und Globalisierungsgrad ist für die Studienautoren ein Faktum. Denn jene Länder, die stärker global vernetzt waren, haben in den vergangenen Jahrzehnten auch einen höheren durchschnittlichen Einkommenszuwachs als Länder mit geringerem Globalisierungsgrad erlebt. In Dänemark stieg beispielsweise das durchschnittliche Einkommen ab 1990 durch die Teilnahme am globalen Markt um nicht weniger als 1210 Euro pro Jahr (zu Preisen des Jahres 2000), in Deutschland um 1130 Euro, in Österreich um 880 Euro. Russland, das deutlich weniger vernetzt war, kam gerade einmal auf ein Plus von 120 Euro. Diese Entwicklung sagt freilich nichts über die Verteilung dieser Einkommenszuwächse aus. Denn gleichzeitig ging die Schere zwischen Arm und Reich in den meisten Industrienationen auseinander. Das belegte eine Studien der OECD.

Obwohl es zu Verlagerungen von Produktionen in Billiglohnländer kam, legten die wohlhabenden Nationen durch die Globalisierung auch in ihrer Wirtschaftskraft zu. Zuletzt wiesen die Schweiz, Deutschland, Finnland und Dänemark noch immer die höchsten globalisierungsbedingten Zuwächse (in BIP pro Kopf) auf. Auch Österreich hat durch seinen Tourismus und seine Exportorientierung lang profitiert. Zwischen 1990 und 2014 ist das BIP pro Kopf durch die Teilnahme an der Globalisierung um 21.100 Euro gestiegen. Im Vergleich: Deutschland erreichte einen globalisierungsbedingen Zuwachs von 27.000Euro, die Schweiz von 32.700 Euro. Japan war eines der wenigen Länder, die ihre globale Vernetzung auch zuletzt noch steigern konnten.

Warnung vor Abschottung

Die wirtschaftsliberal ausgerichtete Bertelsmann-Stiftung warnt vor einer weiteren Abkehr von der Globalisierung. „Wirtschaftliche Abschottungsbestrebungen, die sich zum Beispiel in Grenzschließungen oder protektionistischen Maßnahmen äußern, gehen zulasten des wirtschaftlichen Wohlstands der Bürger“, heißt es in der heute, Donnerstag, präsentierten Studie, die der „Presse“ bereits vorlag.

Die Studienautoren empfehlen einen Abbau von Handelshemmnissen und Kapitalverkehrskontrollen. „Gerade die Schwellen- und Entwicklungsländer weisen bisher nur unterdurchschnittliche Globalisierungsgrade auf und haben daher noch großes Potenzial.“ Notwendig sei eine stärkere Integration dieser Länder in die Weltwirtschaft. „Die Globalisierung ist kein Nettosummenspiel. Eine stärkere Verflechtung der Schwellenländer würde sich auch auf Europa positiv auswirken“, ist Petersen überzeugt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.09.2016)

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