Wirtschaftsdelegierter: "Türkei fühlte sich im Stich gelassen"

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TURKEY-ATTACK-TOURISMAPA/AFP/OZAN KOSE
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Konstantin Bekos, bis vor kurzem Wirtschaftsdelegierter in Ankara, warnt vor einer weiteren Eskalation im Konflikt mit der Türkei. Mehrere Firmen seien bereits um öffentliche Großaufträge umgefallen.

Österreich und die Türkei sind "in eine Phase eingetreten, wo man sich wehtun möchte", erklärte Konstantin Bekos, der bisherige langjährige österreichische Wirtschaftsdelegierte in Ankara. Die Nerven lägen in beiden Ländern blank, so Bekos, der vor kurzem das Amt an Georg Karabaczek übergeben hat. Jede weitere Eskalation wäre aber zum Schaden beider Länder. Das vorzeitige Aus für das österreichische Grabungsteam in der antiken Weltkulturerbestätte Ephesos nahe Izmir ist der aktuelle Tiefpunkt einer zunehmend zerrütteten Beziehung zwischen der Türkei und Österreich. Mehrere österreichische Firmen sind bereits um öffentliche Großaufträge am Bosporus umgefallen.

Der Grabungsstopp der Archäologen auf Anweisung des türkischen Kulturministeriums sei eindeutig als "Retourkutsche" zu verstehen, sagte Bekos. Wenn der raue Ton anhalte, könnten die Beziehungen dauerhaft geschädigt werden, fürchtet er.

Der Wirtschaftsdelegierte sieht jedenfalls die EU-Perspektive der Türkei weiter als wichtig an. Für beide Seiten. Die Türkei brauche und suche den Anschluss nach Europa. Die Forderung nach Visafreiheit sei mittlerweile eine "Frage der Ehre" für die Türkei geworden.

Mangelnde Reaktion der Europäer

Die innenpolitische Zerreißprobe, der zerbrochene Friedensprozess mit der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK, der Syrienkrieg, die Fluchtbewegungen der Syrer in die Türkei - und weiter nach Europa - habe die Türkei zermürbt. Hinzu kam die mangelnde Reaktion der Europäer auf den Putschversuch am 15. Juli. "Die Türkei fühlte sich im Stich gelassen", schildert der Delegierte die Wahrnehmung im Land am Bosporus. Die Folgen seien fatal, sowohl für die Beziehungen mit der EU als auch für die Türkei selbst.

Die politischen und wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Österreich und der Türkei reichten historisch weit zurück und gingen tief. Diese langjährigen Beziehungen könnten jetzt "in einigen Bereichen in die Brüche gehen". Aktuell rät der Wirtschaftsdelegierte heimischen Unternehmen, sich aus der Politik herauszuhalten und die Entwicklungen genau zu beobachten.

140 österreichische Unternehmen vor Ort

Rund 140 österreichische Unternehmen seien derzeit vor Ort aktiv, einige schon seit Jahrzehnten. Darunter zahlreiche Firmen, die als Zulieferer für die Bauindustrie agierten. "Wir waren bei allen Großprojekten dabei", erklärte Bekos. Ein Großteil der Wasserkraftwerke in der Türkei seien mit österreichischer Beteiligung entstanden. Aktuell seien österreichische Firmen etwa beim Bau des dritten Istanbuler Flughafens und dem Ausbau des Hochgeschwindigkeitsnetzes für die Bahn eingebunden. Sie hätten auch am Bau des "Jahrhundertprojekts" Marmaray, der Untertunnelung des Bosporus, mitgewirkt.

Im Vorjahr hat das österreichische Außenhandelsvolumen fast drei Milliarden Euro erreicht. Die heimische Wirtschaft hat 2015 Waren im Wert von 1,4 Milliarden Euro an den Bosporus geliefert und Waren im Wert von 1,46 Milliarden Euro eingeführt. Im ersten Quartal 2016 hingegen waren die Exporte heimischer Unternehmen in die Türkei um fast 13 Prozent rückläufig, bei gleichbleibenden Importen. Aus Österreich flossen in den Jahren 2002 bis 2015 rund 4,5 Milliarden Euro an Direktinvestitionen. Heimische Firmen waren 2009 bis 2011 sogar größter Investor des Landes.

"Säuberung" erfasst alle Bereiche

Die eingeleitete "Säuberung" nach dem versuchten Coup erfasst mittlerweile beinahe alle gesellschaftlichen Bereiche in der Türkei. Die Regierung in Ankara führt einen Rundumschlag gegen die als Putschisten gebrandmarkte Gülen-Bewegung aus und entlässt Richter, Militärs, Staatsbedienstete, zigtausende Lehrer. Akademikern und Beamten ist es verboten, das Land zu verlassen.

Auch mehr als dreitausend Firmen wurden unter "Aufsicht" gestellt. Was mit der Zerschlagung der Bank Asia - sie stand dem Gülen-Netzwerk nahe - begann, hat nach dem 15. Juli weitere Kreise gezogen. Selbst die Boydak-Holding, eine der Top-500-Firmen der Türkei nach Forbes, geriet ins Netz der Fahnder.

(APA)

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