Die Abwärtsspirale des deutschen Branchenprimus versetzt die Finanzwelt in Aufregung. Er ist an der Börse kaum noch mehr wert als die Strafe, die Amerika von ihm fordert.
Wien. „Es geht uns gut und wir fühlen uns sehr wohl“: Selten stand der Zweckoptimismus eines Pressesprechers so diametral zur Einschätzung des Marktes. Denn die Aktionäre der Deutschen Bank fühlen sich gar nicht wohl, und mit ihnen die gesamte Finanzwelt. Der Börsenwert des größten deutschen Instituts ist seit dem Höchststand im Frühling 2007 um 90 Prozent eingebrochen. Seit Jahresbeginn stürzte die Aktie noch einmal um die Hälfte ab. Am Montag verlor sie sechs Prozent, am Dienstag blieb es (nach zwischenzeitlich weiteren Verlusten) am Ende genau beim Rekordtief des Vortages. Wie aber konnte es zu der bedrohlichen Abwärtsspirale kommen?
Unmittelbarer Auslöser ist die überraschend hohe Strafandrohung des US-Justizministeriums vor knapp zwei Wochen. Als Buße für die dubiosen Geschäfte mit Verbriefungen fauler Hypothekenpapiere vor der Finanzkrise fordern die Amerikaner 14 Mrd. Dollar. Dabei ist die ganze Bank an der Börse nur mehr knapp 16 Mrd. Euro wert. Freilich geht es um eine hohe Einstiegsforderung. Aber die Deutsche Bank hat nur mit 5,5 Mrd. Euro für Rechtsstreitigkeiten vorgesorgt. Und damit gilt es noch viel mehr abzudecken. Denn das Institut hat in jüngerer Zeit fast keinen Skandal ausgelassen: Von der Manipulation des Interbankenzinses Libor bis zu Geldwäsche in Russland hatte es überall seine Hände im Spiel.
Mehr Kapital oder Staatshilfe?
In den letzten Tagen verfestigte sich im Markt die Meinung, dass die Bank es ohne eine neuerliche Kapitalerhöhung nicht schaffe. Für die Altaktionäre heißt das: Ihre Anteile werden verwässert und weniger wert. Zudem stellt sich die Frage: Welche positive Story kann Chef John Cryan in der akuten Notlage erzählen, um neue Investoren anzulocken? Er hat zwar versprochen, mit dem Erbe seiner Vorgänger zu brechen und vom Investmentbanking auf Vermögensverwaltung umzusatteln. In diesem Segment tummeln sich aber viele Konkurrenten, die den Strategiewechsel längst vollzogen haben. Immer noch kommt das Gros der Erträge aus dem Handel mit Wertpapieren, vor allem dem riesigen Derivatepool. Die Geschäfte finanzieren sich großteils nicht mit Spareinlagen, sondern kurzfristigen Krediten, was viel riskanter ist.
So kommt es, dass die Bank zwar eine stolze Bilanzsumme von 1800 Mrd. aufweisen kann, aber nun die Einlagenbasis eines mittelgroßen Instituts in Spanien oder Italien hat. Das hohe Risiko ist offenbar noch dazu schlecht im Griff: „Große ungelöste Probleme mit den Kontrollsystemen“ stellte die US-Notenbank Fed bei der US-Tochter fest – und ließ sie beim Stresstest im Juni das zweite Mal in Folge durchfallen. Der Internationale Währungsfonds verlieh im Sommer dem Geldhaus das wenig schmeichelhafte Prädikat „größtes Systemrisiko für die Finanzwelt“.
Dennoch bleibt es ein unverzichtbarer Kreditgeber für die deutsche Exportwirtschaft. Damit steigt der Druck auf Berlin, mit Steuergeldern einzugreifen. Aber aller Welt ist zugleich klar, dass sich Angela Merkel das kaum leisten kann: Von Griechenland bis zur italienischen Bankenkrise hat sich die Kanzlerin wie niemand anderer gegen Bail-outs gestemmt. Die EU-Bankenunion ist auf deutsche Initiative hin entstanden. Nach ihren Regeln müssen zuerst Gläubiger und Investoren einer strauchelnden Bank geradestehen. Bevor sie das riskieren, stoßen Anleger nun lieber ihre Papiere ab – und der Kurs rasselt weiter in die Tiefe.
Commerzbank baut Jobs ab
Was der Deutschen Bank helfen kann, ist der US-Wahlkampf. Zwar kommt es bei den Amerikanern gut an, wenn ihre Behörden gegenüber ausländischen Unternehmen Härte zeigen. Aber Präsident Obama will kaum zum Ende seiner Amtszeit eine neue Bankenkrise provozieren und damit seiner erhofften Nachfolgerin Hillary Clinton Prügel in den Weg werfen. Das spricht in Summe für eine rasche Einigung und eine verkraftbare Strafzahlung.
Schwer hat es zurzeit auch die Nummer zwei auf dem deutschen Finanzmarkt: Die Commerzbank hat am Dienstag den Abbau von 9000 Stellen bis 2020 angekündigt. Davon wäre fast jeder fünfte Mitarbeiter betroffen, was nicht ohne betriebsbedingte Kündigungen möglich sein dürfte. Der Sparkurs soll die schwache Profitabilität der Bank erhöhen, im Umfeld extrem niedriger Zinsen und neuer Konkurrenz aus dem Internet. (gau)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.09.2016)