USA: Ein Bezirk spekuliert sich in den Ruin

Symbolbild: Schuldenfalle
Symbolbild: Schuldenfalle(c) Erwin Wodicka
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Durch hochriskante Finanzgeschäfte sind die Schulden in dem eher von Armut gezeichneten Südosten der USA explosionsartig angeschwollen. Nun droht die größte kommunale Pleite in der US-Geschichte.

Washington. Für die 660.000 Bewohner von Jefferson County tief im Süden der USA ist ein Albtraum wahr geworden. Wie eine Seifenblase geplatzt sind die Versprechen vom neuen Footballstadion, von einer „Hall of Fame“ für Amerikas Sportheroen, von neu asphaltierten Straßen und einem öffentlichen Reinigungsdienst, von denen Larry Langford, Bürgermeister der Hauptstadt Birmingham, so gerne fabuliert hat.

Stattdessen können die Bürger die immer höheren Abwassergebühren nicht begleichen. Der Landkreis hat die Entlassung von einem Drittel seiner 3600 Bediensteten und massive Kürzungen im Gesundheits- und Sozialbereich angekündigt. Und Langford, das Stadtoberhaupt mit dem Faible für Rolex-Uhren und teure Maßanzüge, wurde wegen Korruption angeklagt und in Handschellen vors Gericht geführt.

Der Landstrich in Alabama hat den Bürgerkrieg überstanden, die Cholera und die Stahlkrise in den 70er-Jahren. Rassendiskriminierung und der Terror des Ku-Klux-Klans sind als dunkles Kapitel immer noch gegenwärtig. Durch die tragische Finanzposse steht Jefferson County nun vor der größten kommunale Pleite in den USA.

Durch hochriskante Finanzgeschäfte sind die Schulden in dem eher von Armut gezeichneten Südosten der USA explosionsartig auf mehr als drei Milliarden Dollar angeschwollen – bei einem Budget von 800 Mio. Dollar. „Das ist unser Armageddon“, klagt Bettye Fine Collins, Vorsitzende der Bezirksverwaltung. „Wir sind wie ein Patient im Endstadium. Nicht einmal Morphium kann uns noch helfen.“

Vorbild für hunderte Landkreise

Ein Klima der Lynchjustiz hat um sich gegriffen: „Am liebsten würden die Leute jemanden erschießen. Nur: Sie wissen nicht wen“, sagt ein Lokalpolitiker. Begonnen hatte die Malaise vor mehr als zehn Jahren mit dem Bau einer neuen Kanalisation und einer Anleihe von 300 Mio. Dollar.

Als ein paar Jahre später, auf dem Höhepunkt des Börsenbooms, alles möglich schien, trat ein windiger Spekulant auf den Plan und stürzte die ahnungslosen Lokalpolitiker in die Finanzfalle – mit der Zusage, die Zinsen zu drosseln. James LeCroy von der Investmentbank Bear Sterns drehte ihnen Swaps im Umfang von 1,6 Mrd. Dollar an: Zinsgeschäfte mit einem variablen Zinssatz, im Grunde eine Glückslotterie.

Finanzguru Warren Buffett warnte schon damals vor den „teuflischen Derivaten“: „Sie sind leicht zu kriegen. Aber es ist fast unmöglich, sie wieder loszuwerden.“ Die Politiker waren denn auch heillos überfordert: „Ich musste mir von einem Finanzexperten alles erklären lassen. Und selbst dann habe ich 99 Prozent nicht verstanden“, gestand Langford ein, der seine Karriere als Enthüllungsjournalist im Fernsehen begonnen hatte.

Trotzdem schlossen er und seine Kollegen in der Bezirksverwaltung immer mehr Swapgeschäfte und andere heikle Finanztransaktionen ab. Vor allem JP Morgan witterte das Geschäft, die Bank of America und Lehman Brothers zogen nach. Es floss immer mehr Geld, und damit wurde auch das Risiko immer größer.

Das vermeintlich erfolgreiche Geschäftsmodell sprach sich herum. In hunderten Landkreisen von Florida bis Kalifornien passierte Ähnliches, wenn auch in geringerem Umfang. In Birmingham aber hielten Banker und Politiker sogar Seminare in glanzvollem Rahmen ab und feierten sich gegenseitig. Als jedoch die Wall Street im Vorjahr kollabierte, brach auch über Jefferson County das Unglück herein.

Korrupter Bürgermeister

Die Zinsen stiegen von drei auf zehn Prozent, die Schulden explodierten und die Banken versuchten, ihre Kredite einzutreiben. Zu diesem Zeitpunkt hatte James Le Croy, der Urheber des Unheils, längst Bekanntschaft mit einer Gefängniszelle gemacht. Ein Gericht in Philadelphia hatte ihn wegen Korruption verurteilt.

Ein Urteil, das seinem Finanzpartner Langford wohl noch bevorsteht. Er soll 235.000 Dollar eingestreift haben. Als Bürgermeister ist er inzwischen abgesetzt. Die Börsenaufsicht SEC ist dem von der Finanzplage schwer geprüften Jefferson County jetzt immerhin zu Hilfe gekommen. Das Kontrollorgan hat JP Morgan wegen „illegaler Zahlungen“ – also Bestechung – zu einer Pönale von 50 Mio. Dollar an die Verwaltung von Jefferson County und zu 25 Mio. Dollar an die SEC verdonnert.

Zugleich hat sie die Säumnisklage der Bank über 647 Mio. Dollar an den Bezirk in Alabama für hinfällig erklärt. Für Jefferson County hat sich damit freilich nur ein kleiner Teil der Probleme erledigt. „The Magic City“, so lautet der Werbeslogan Birminghams. Doch den faulen Zauber der Finanzderivate, dem sich Stadt und Umland verschrieben haben, werden sie so schnell nicht mehr los.

Jefferson County

Der Landkreis Jefferson County mit 662.000 Einwohnern gehört zum US-Bundesstaat Alabama im Süden der USA. Er besteht im Wesentlichen aus der Industriestadt Birmingham (230.000 Einwohner) und deren dicht besiedeltem Umland. Im Zuge der Finanzkrise erlangte die Region traurige Berühmtheit: Mehr als drei Mrd. Dollar Schulden aus riskanten Zinsswaps der letzten sieben Jahre lasten auf der Bezirkskasse. Es droht die größte kommunale Pleite in der Geschichte der USA.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2009)

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